Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Kriegsrecht in 
Feindesland. 
524 FERDINAND VON MARTITZ: Völkerrecht. 
dem Seebeuterecht innewohnende abschreckende Wirkung, bei der unermeß- 
lichen Steigerung, welche der überseeische Verkehr in den letzten Jahrzehnten 
erfahren habe, einer Erhaltung des Friedenszustandes zugute kommen würde. 
Mit alledem wird freilich die Frage nach möglichster Milderung und Einschrän- 
kung des harten und rohen Kriegsmittels, das zudem erfahrungsmäßig für den 
Endausgang des Krieges nicht von entscheidender Bedeutung ist, nicht ab- 
geschnitten. Die zweite Friedenskonferenz von 1907 hat durch besondere Ver- 
träge solche Milderungen vorgenommen. Für die ihnen beitretenden Mächte 
ist der Kreis der herkömmlich als exemt geltenden Schiffe und Ladungen nun- 
mehr rechtsverbindlich festgestellt und auf die Briefpostsendungen erstreckt 
worden, HC. XI A. 1—3. Sodann sind, in Anwendung der Grundsätze der 
Genfer Konvention auf den Seekrieg, die Lazarettschiffe der Kriegführenden, 
auch die von privater Seite ausgerüsteten, von der Wegnahme ausgeschlossen, 
HC. X A. 1.2. Aber im übrigen ist das hergebrachte Seebeuterecht bei Be- 
stand geblieben. Es gilt nach wie vor als Attribut des Seekrieges. Immerhin zu 
einer höchst bedeutsamen und wohltätigen Einwirkung auf die Handhabung 
desselben wird der auf jener Konferenz in Aussicht genommene internationale 
Prisenhof für die der Gemeinschaft desselben angehörigen Staaten berufen sein. 
Es soll nämlich den feindlichen Eigentümern von Schiff oder von Ladung die 
Einlegung des Rekurses gegen das kondemnierende Urteil des nationalen 
Prisengerichts verstattet sein, wenn auch nur unter besonderen Voraussetzungen, 
HC. XII A. 3 Nr. 2c; 4 Nr.3. Die feindliche Regierung selbst kann niemals 
prisengerichtliche Prozeßpartei sein. 
VI. Mit der militärischen Besetzung des feindlichen Staatsgebiets wird 
die dortige Staatsgewalt suspendiert. An ihre Stelle tritt die Kriegsgewalt der 
Okkupationstruppen, welche fortan im Interesse der Kriegführung, also be- 
schränkt in Ort, Zweck und Zeit, die Regierungsrechte ausübt. Die besetzten 
Gebietsteile treten unter Kriegszustand. Vermöge desselben ist die Militär- 
autorität berechtigt, bestehende Gesetze zu suspendieren, Verordnungen zu 
erlassen und deren Befolgung durch Straf- und Zwangsmittel durchzuführen. 
Korrelat ist ihre völkerrechtliche Pflicht für die öffentliche Ordnung dort Sorge 
zu tragen, LKO. A. 43. „Die Ehre und Rechte der Familie, das Leben der Bürger 
und das Privateigentum, sowie die religiösen Überzeugungen und Kultusübungen 
sollen geachtet werden‘, LKO. A.46. Sie ist befugt, den Dienst der öffentlichen 
Verkehrsanstalten zu übernehmen, auch die unterseeischen Kabel, die das be- 
setzte Gebiet mit einem neutralen verbinden, mit Beschlag zu belegen oder zu 
zerschneiden, freilich nur im Falle absoluter Notwendigkeit, unter Pflicht zur 
Rückgabe und Entschädigung beim Friedenschluß — die Bestimmung gilt nur für 
den Landkrieg — LKO. A. 54. Das Militärgouvernement darf die öffentlichen 
Beamten ihrer Funktion entheben. Es ist befugt, die Einkünfte des Staates 
zu vereinnahmen. Den Bewohnern können Zwangsauflagen zur Deckung der 
militärischen und Verwaltungsbedürfnisse, durch schriftlichen Befehl eines 
selbständig kommandierenden Generals, unter Empfangsbescheinigung, ge- 
macht werden (Kontributionen) ; also nicht zur Bereicherung als Brandschatzung
	        
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