530 FERDINAND VON MARTITZ: Völkerrecht.
günstigung gewisser Neutraler vor den anderen ist unstatthaft. Jede Beein-
trächtigung der Neutralitätsrechte stellt den Tatbestand der Neutralitätsver-
letzung dar, ist ein völkerrechtliches Delikt und gibt nach der Schwere des
Falles dem Betroffenen den Grund, dem Verletzer die Neutralität aufzukündigen.
Im einzelnen darf der neutrale Staat von dem Kriegführenden nicht an
Ausübung seiner Neutralitätspflichten gehindert werden, HC XIII A. ı. Jede
innerhalb des neutralen Land- oder Wasserbereichs geübte Hostilität ist illegal.
Das Verbot kommt im Seekrieg zu spezialisierter Anwendung. Auf einen neu-
tralen Küstenstrich kann eine Blockade nicht wirksam erstreckt werden,
LD A.ı.ı8. Die Ausübung des Durchsuchungs- und Festnahmerechts im
Küstenwasser des neutralen Staates ist untersagt, HC XIII A. 2. Eine dort
etwa gemachte Prise ist diesem unter allen Umständen behufs ihrer sofortigen
Befreiung herauszugeben, selbst wenn er tatsächlich nicht in der Lage war,
die Herausgabe, wie es seine Neutralitätspflicht mit sich brachte, zu erzwingen,
A. 3. Der Vorschrift hat HC XII A. 3 nr. 26; A. 4 nr. I. 3 eine bedeutungs-
volle Sanktion gegeben. Die neutrale Regierung ist bei Anhängigmachung der
erlittenen Gebietsverletzung nicht bloß auf eine diplomatische Reklamation
angewiesen. Vielmehr darf sie eventuell jene Freigebung auf dem Prozeßwege
durch Einlegung eines Rekurses bei dem internationalen Prisenhof betreiben,
wenn ein feindliches Schiff in ihren Gewässern genommen war.
Weiter aber hat die neutrale Macht die Befugnis, mit jedem der krieg-
führenden Staaten in diplomatischem, aktivem und passivem, Verkehr zu
stehen. Freilich erleidet dieses Neutralitätsrecht, wenn die Vertreter der Neu-
tralen sich innerhalb einer belagerten Festung befinden, die durch die mili-
tärische Notwendigkeit gebotenen Beschränkungen (Bismarck an die Mitglieder
des diplomatischen Korps in Paris, 20. Oktober 1870).
Der Seeverkehr V. Vor allem schützt die neutrale Regierung ihre Angehörigen gegen
er Keutreien. „alkerrechtswidrige Maßnahmen der im Kampfe stehenden Streitkräfte, sowohl
auf dem territorialen Kriegsschauplatz als auf dem Weltmeer. Zumal auf der
hohen See kommen die Rechte der Neutralen zu spezieller, höchst ausdrucks-
voller Betätigung. Denn aus der wirtschaftlichen Kräftigung, welche die Wider-
standsfähigkeit eines kriegführenden Staates durch den Seeverkehr mit neu-
tralen Ländern gewinnen kann, findet zwar die Befugnis des Gegners, einen
solchen durch Zwangsmaßregeln zu beschränken, ihre Erklärung und ihre
Rechtfertigung. Aber in welchem Maße dies zulässig sei, in welcher Weise
also die Handelsfreiheit der neutralen Schiffahrt und das auf möglichst un-
gehinderte Erreichung des Kriegszieles gerichtete Interesse der Belligerenten
den rechtlichen Ausgleich erhalte, ist eine theoretisch wie praktisch viel um-
strittene Frage. Sie hat eine große, mehrhundertjährige wechselvolle Geschichte.
Ohne Eingehen auf diese läßt sich der heutige Rechtszustand nicht verstehen.
Das Komat „ 6. Das Recht der Neutralen zur See in seiner geschichtlichen
“er See Entwicklung. Als Prinzip für die Abgrenzung der Rechte der kriegführen-
den Mächte fand im späteren Mittelalter der Satz eine weitverbreitete An-