VIII. Der Krieg und sein Recht. 7. Der neutrale Seeverkehr im geltenden Recht. 537
Rechtsstandpunkten der in Betracht kommenden Seemächte, zumal der Länder
des englisch-amerikanischen Rechtskreises, denen Japan sich zugesellte, und
derjenigen des europäischen Kontinents. Daß sie für die Neutralen streng sind,
wird sich nicht leugnen lassen. Andrerseits stellen sie die Eigenmacht der
Kriegführenden unter heilsame, durch die auferlegten Pflichten zum Schadens-
ersatz, LD A. 64, recht drastisch gestaltete Rechtsschranken. Die Bestim-
mungen sind getragen von dem Geiste ausgleichender Gerechtigkeit und was
ein Staat als Kriegführender opfert, gewinnt er im Falle neutraler Position.
Eine unbefangene Würdigung muß doch wohl anerkennen, daß ein Mehr von
gegenseitigen Zugeständnissen bei der heutigen Weltlage nicht zu erreichen
war. Die auf dem Meer zu erzielende Rechtssicherheit ist ein unschätzbarer
Gewinn wie für den friedlichen Handel, so auch für die Beziehungen der
Kriegsparteien zu den Neutralen.
Lückenlos freilich sind auch die Londoner Regeln von 1909 nicht, und
über einige wichtige Punkte, deren schon oben Erwähnung geschah, ist eine
Verständigung nicht erzielt worden. Auch wird die Londoner Deklaration
nach ihrer Ratifikation eben doch nur Vertragsrecht sein. Im übrigen also
gilt das übernommene maritime Völkerrecht weiter. Bei Darstellung desselben
mag auch hier das neue, noch unfertige Recht eingewoben werden.
7. Der neutrale Seeverkehr im geltenden Recht. I. Der neutralen
Schiffahrt kann völkerrechtlich die Befugnis nicht genommen werden mit
beiden im Kriegszustand befindlichen Ländern Verkehr zu unterhalten, also
Güter und Reisende dorthin und von dorther zu befördern. Aber dieser Frei-
heit sind Schranken gesetzt durch das Recht der kriegführenden Macht, gegen
unneutrales Verhalten eines die neutrale Flagge führenden Schiffes auf jedem
Punkte des Weltmeeres, soweit es nicht neutrales Küstenmeer ist, mit mili-
tärıscher Gewalt vorzugehen. Das betroffene Schiff macht sich nicht strafbar;
aber es verfällt einem kriegspolizeilichen Verbot und hat die Folgen seines
Verhaltens zu tragen, die sich bis zur Konfiskation und bis zur Zerstörung
steigern können. Es wird Prise; dem Seebeuterecht tritt das Prisenrecht
an neutralen Schiffen und Gütern zur Seite. Vermöge dieses Rechtes sind
die Führer der Kriegsschiffe (oder Kaper unter Verantwortlichkeit gegen ihre
Regierung) ermächtigt, an allen begegnenden neutralen Privatschiffen, sofern
solche nicht unter Konvoi eines Kriegsschiffes ihrer Flagge fahren, LD A. 61. 62,
im Falle des Verdachts, das Untersuchungsrecht auszuüben. Auch Postschiffe
sind nicht ausgenommen; doch soll deren Untersuchung nur im Notfall,
schonend, mit Beschleunigung erfolgen. Im Fall des Blockadebruchs ist ihre
Immunität beschränkt, HCXI A. ı.2. Das Untersuchungsrecht schließt die Be-
fugnis ein, das Schiff anzuhalten; durch ein an Bord gesandtes Visitations-
kommando eine Prüfung der Schiffs-, Reise- und Ladungspapiere behufs Fest-
stellung der Nationalität des Schiffes und seiner Besatzung, des Eigentums
an der Ladung und seiner Beschaffenheit, der Reiseroute und des Bestim-
mungshafens vorzunehmen. Es gewährt die weitere eventuelle Befugnis, eine
Das Visitations-
recht.