DIE ZUKUNFTSAUFGABEN
DES RECHTES UND DER RECHTSWISSENSCHAFT.
VON
RUDOLF STAMMLER.
Einleitung. Wenn wir fragen, welche Aufgaben unserer Rechtswissen-
schaft in den nun kommenden Tagen mit Grund gesteckt sind, so setzt dieses
eine Verständigung über den Grundgedanken des Rechtes und seiner Betätigung
voraus. Es muß Richtung und Gesetz von Recht und Rechtswissenschaft all-
gemein feststehen, um alsdann den besonderen Zustand der Gegenwart
zur Vergleichung heranzubringen und so das Fehlende als Aufgabe einzusehen.
In solchem Sinne bedeutet die Frage der Zukunftsaufgaben genau genommen:
das wissenschaftliche Problem der heutigen Zeit.
Wie überall, so besagt auch auf dem Gebiete des Rechtes die wissen-
schaftliche Behandlung ein Streben, das auf einheitliche Erfassung ge-
richtet ist. Es gibt eine unwissenschaftliche Rechtskunde gegenüber der Juris-
prudenz als Wissenschaft. Wenn Kirchmann seinerzeit (1848) das letztere in
interessanter Weise bestritt und von der Wertlosigkeit unseres Faches als
Wissenschaft sprach, so ließ er nach eigenem Bekenntnis die Bestimmung des
Oberbegriffes ‚Wissenschaft‘‘ aus; er meinte, daß diese an sich für seine Arbeit
nötige Feststellung ihre großen Schwierigkeiten haben würde und berief sich
damals auf die beschränkte Zeit seines Vortrages. Aber Kirchmann hat nach
dem noch 36 Jahre gelebt und eine Definition jenes Oberbegriffes nicht nach-
geholt. Halten wir dem gegenüber fest, daß Wissenschaft ein jedes Bewußt-
sein ist, das auf Einheit geht und in der Umformung zu ihr sich vollendet, so
ist keineswegs von vornherein einzusehen, weshalb der Inhalt von rechtlichem
Wollen nicht in einer derartigen Weise bestimmt und gerichtet werden könnte.
Die Einheit, die hierbei als letzte kennzeichnende Formel sich bietet,
ist in unserem Zusammenhange natürlich nur als sachliche Eigenschaft be-
stimmter Rechtsbetrachtung gemeint. Sie hat für jetzt nichts mit einer äuße-
ren Gemeinsamkeit in den Ansichten mehrerer Menschen zu tun, und das
Streben nach ihr ist zuvörderst qualitativ verschieden von dem Wunsche einer
möglichen Einstimmigkeit in dem Urteile der rechtlich Unterworfenen. Darum
ist die Frage nach den Zukunftsaufgaben des Rechtes keineswegs mit der Forde-
rung eines volkstümlichen Rechtes schon abgetan, noch auch der Gedanke
einer wissenschaftlichen Behandlung des Rechtes etwa mit qualitativ über-
Wissenschaft-
liche Behandlung
des Rechtes.
„Volkstüm-
liches‘ Recht.