Geschichtliche
Rechtsschule.
Geschichtliche
„Richtung“
in der heutigen
Jurisprudenz.
556 RUDOLF STAMMLER: Die Zukunftsaufgaben des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
der Rechtsgeschichte sind die Ansichten der Gelehrten noch immer sehr ge
teilt. Es entstammt diese Verschiedenheit der Meinungen aber notwendig den
verschiedenen Grundauffassungen über das Wesen des Rechtes selbst.
Das zeigt sich vor allem bei derjenigen rechtsphilosophischen Richtung,
die hier besonders bemerkenswert sein muß: der geschichtlichen Rechtsschule,
Wie an anderer Stelle dargelegt ist (‚Wesen des Rechtes‘ A. 2, in diesem Band
S. 6ff.), so besteht nach ihr die tiefste Eigenart des Rechtes darin, ein Erzeugnis
des ‚„Volksgeistes‘‘ zu sein, der im Laufe der Geschichte in den Gliedern des
Volkes gewisse gemeinsame Überzeugungen „rechtlicher‘‘ Art bewirke. Auf
diese einheitliche Ursache aller Kulturäußerungen komme sonach im letzten
Grunde alles an: Das höchste Ziel sei hier, das Wesen des betreffenden ‚,Volks-
geistes‘‘ zu erforschen. Dieses könne aber nur auf dem Wege der geschicht-
lichen Betrachtung geschehen, indem man aus den einzelnen Äußerungen im
Laufe der Entwicklung auf die besondere Endursache dieser ‚Volksseele‘‘ und
deren Beschaffenheit schließe. Prägnant läßt in diesem Sinne Freytag in „Soll
und Haben‘‘ den Sprachforscher sagen, daß die Kenntnis der Sprachen für die
Wissenschaft die beste Hilfe sei, um das Höchste zu verstehen, was der Mensch
überhaupt begreifen könne, ‚‚die Seelen der Völker‘‘.
Wer aber eine davon abweichende Auffassung von dem Wesen des Rechtes
sich gebildet hat, muß auch versuchen, die Bedeutung der Rechtsgeschichte
in anderer Weise zu nehmen. Er kann sie jedoch nicht klarlegen, es sei denn
wieder nach einem allgemein gültigen, also rechtsphilosophischen Grund-
gedanken. Wenn nach einem solchen unbedingt letzten formalen Gesichts-
punkte, der für alle denkbare Rechtsbetrachtung gilt, die juristische Einzel-
arbeit unternommen wird, so wird jeweilig auch die rechtsgeschichtliche
Untersuchung und Darstellung ihren dienenden und nützenden Platz erhalten.
Dagegen würde es kein klarer Gedanke sein, wenn man der Rechtsgeschichte
ein gänzlich unabhängiges eigenes Ziel stecken wollte und das Zurückgehen
in die Vergangenheit eines Rechtes als eine Art von Selbstzweck behandeln
möchte. Dem Wozu? vermag auch eine rechtshistorische Erörterung nicht
auszuweichen, und der Zweifelsfrage nach ihrer Daseinsberechtigung und ihrem
Werte kann sie natürlich nur mit dem Nachweise genügen, ein notwendiges
Mittel zu dem Zwecke einer einheitlich ausgearbeiteten, wissenschaftlichen
Rechtslehre zu sein. Darum bedarf auch das bloße Bekenntnis mancher Juristen
zu einer geschichtlichen ‚Richtung‘ erst noch einer klärenden Analyse.
Daß der Stoff eines besonderen Rechtsinhaltes in der Geschichte ent-
standen ist, versteht sich von selbst. Unter einer ‚Richtung‘‘ vermag man aber
mit Grund doch nur die formale Art und Weise zu verstehen, in der jemand
einheitlich allen ihm vorkommenden geschichtlichen Stoff bearbeitet.
Darum würde die bloße Berufung auf geschichtliche „Richtung“ nur dann
eine methodisch geschlossene letzte Grundlage der juristischen Arbeit abgeben
Genetische und können, wenn nachgewiesen würde: entweder, daß es außer der genetischen
systematische
Betrachtung
des Rechtes.
Erkenntnis des Rechtes eine davon unabhängige systematische überhaupt
nicht geben könne, oder doch, daß jene erste die logische Bedingung für die