Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

II. Die Rechtsgeschichte. 559 
Es ist klar, daß mit diesen verschiedenen Wertungen die Frage nach dem Wichtiges 
Wichtigen und dem Unwichtigen aus dem geschichtlichen Verlaufe des ea 
Rechtes her aufgerollt ist. In der Tat ist es diese Grundfrage, welche für den seschichte. 
Historiker überall den Ausschlag geben muß. Daß nicht jedes Geschehnis der 
Menschengeschichte, bloß weil es einmal da war, es auch verdient, als ‚‚geschicht- 
liches‘‘ Ereignis bearbeitet und in die wissenschaftliche Betrachtung des 
sozialen Lebens eingeführt zu werden, ist ja von vornherein sicher. Es verdient 
solches bloß dann, wenn es die formale Eigenschaft des Wichtigen besitzt. 
Meint dann jemand, es mit dem Urteile hierüber noch nicht wagen zu können 
und deshalb einstweilen alles nur Vorhandene sammeln und registrieren zu 
müssen, so befindet er sich zweifellos nur ineiner vorbereitenden Tätigkeit. 
Welches nun das Merkmal des Wichtigen für „die Geschichte‘‘ allgemein sei, 
das gereicht ja der historischen Wissenschaft namentlich in der neueren Zeit 
zur methodischen Sorge, — wie es in jenem Betrachte mit der Rechtsge- 
schichte im besonderen sich verhalte, das ist, wie vorhin ausgeführt, im letzten 
Grunde Sache der rechtsphilosophischen Erwägung. 
Aber läßt sich nicht — mit dem Vorbehalte dieser letzten und höchsten Auß:re Weise 
Instanz — doch aus der Eigenart der genetischen Betrachtung für sich eine erehichte, 
bestimmte äußere Weise vorzeichnen, die für die Rechtsgeschichte 
überhaupt gilt? Und sollten nicht aus dieser Richtlinie her für die Gegen- 
wart gewisse Zukunftsaufgaben der Rechtsgeschichte sich ergeben, die in ihrer 
Wichtigkeit in jedem Falle außer Zweifel stehen dürften? 
Dem ist in der Tat so. Die Frage nach dem gleichmäßigen Verlaufe der 
Änderungen von bestimmtem Rechtsinhalte im Laufe der sozialen Geschichte 
läßt sich allerdings in einer übereinstimmenden Art und Weise überall auf- 
nehmen. Bei der besonderen Verwirklichung eines sozialen Lebens bilden sich 
gesellschaftliche ‚‚Erscheinungen‘‘, das sind gleichheitliche Massenerscheinungen 
rechtlicher Beziehungen nach eigenartiger Zusammenschließung und Klassifizie- 
rung. Indem diese anschwellen und in sicherer Tendenz fortschreiten, drängen sie 
auf Umänderung der bestehenden Rechtsordnung, als der bedingenden Art und 
Weise des seitherigen Zusammenwirkens. Die Notwendigkeit einer rechtlichen 
Änderung gibt sich, genetisch betrachtet, in gewissen Ansichten und Bestre- 
bungen kund, die letztlich aus den sozialen Phänomenen erwachsen sind, in deren 
Darlegung sie eine Erklärung ihrer Entstehungsgründe allein finden können. So 
bietet die Geschichte des sozialen Lebens der Menschen einen ständigen Kreis- 
lauf, in dem gesellschaftliche Phänomene und ihnen entspringende Strebungen 
eine Neugestaltung der rechtlichen Regelung hervorrufen, und diese nun wie- 
der neue soziale Erscheinungen ermöglicht. Eine formal gleichförmige Erneue- 
rung, deren methodische Erwägung dem Rechtshistoriker seine Aufgabe scharf 
vorzeichnet: nämlich das Werden und Vergehen des geschichtlichen Rechts- 
stoffes immer nur aus vorausgegangenen sozialen Phänomenen her zu begreifen. 
In beiden oben genannten Hauptzweigen der uns vornehmlich inter- 
essierenden Rechtsgeschichte, der römischen und der deutschen, würde das 
Gesagte alsbald in den folgenden zwei wichtigen Aufgaben seine Anwendung
	        
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