E. Die Idee des Rechtes. II. Richtige Moral. 39
Nach einem objektiv gerechtfertigten Wollen strebt ja jedermann;
zum mindesten möchte er es für ein Urteil über Entschließungen anderer wohl
haben. Das Problem der Richtigkeit eines bestimmten Wollens ist also in
der Sache in jeder Lage des Lebens gegeben. Dabei sind keineswegs, wie
vordem (B.) schon bemerkt, besondere Zwecke zu erfinden oder gewisses
Wollen dem Stoffe nach zu erschaffen. Vielmehr soll es das systematische
Urteil über natürlich erstehende Strebungen und Ziele objektiv begreiflich
machen und eine methodische Bearbeitung des bedingten Stoffes eines
sonst wilden Sehnens und Drängens zu ermöglichen. Nur in der Schärfe der
Einsicht und in der Klarheit der Gedanken vermag die Theorie von dem un-
deutlichen und nebelhaften Behaupten nach sogenanntem ‚Gefühl‘ sich zu
unterscheiden, mit einem schöpferischen Produzieren neuen Stoffes des Wün-
schens und des Wählens hat sie begründetermaßen nichts zu tun.
Bei der Betätigung dieses Berufes einer kritisch arbeitenden Theorie er-
gibt sich nun in dem Zusammenhange dieser Betrachtungen eine klärende Schei-
dung von zwei Aufgaben desrichtigen Wollens. Dieses kann einmal ein solches
sein, das der Einzelne für sich hegt. Den Stoff bilden dabei die wünschenden
Gedanken, die für sich, auch ohne im geringsten in äußere Erscheinung zu treten,
gut oder schlecht sein können. Es ist die Lauterkeit des Charakters, die Rein-
heit und Wahrheit seines Innern, die hier dem Einzelnen zur Aufgabe gestellt
wird, zu einer Aufgabe, deren Erfüllung ihm das Wichtigste in seinem ganzen
Leben sein muß. Mit Grund hat man gesagt, daß Unwahrheit vor sich selbst
und sich eigens betrügender Widerspruch den Begriff der inneren Schlechtigkeit
erfüllen, es aber für den Menschen nichts Schlimmeres geben könne, als die
daraus entspringende Selbstverachtung. Davor den Einzelnen zu bewahren,
ihn zu der richtigen Arbeit an seinen inneren Wünschen und bloßen Gedanken
anzuleiten: das ist die Aufgabe der sittlichen Lehre.
Wenn so das sittliche Wollen als ein Innenleben des Einzelnen für sich
erscheint, so ist das soziale Wollen die regelnde Anordnung, die mehrere Men-
schen zu gemeinsamer Zweckverfolgung verbindet. Es ist ein Wollen für
andere. Dabei ist es für jetzt noch gleichgültig, wer dieses Wollen äußert und
setzt, es genügt und ist auch hier entscheidend, daß der Inhalt dieses Wollens
nicht mehr die Richtung auf dieeigenen Gedanken als solche nimmt, son-
dern auf die Art des Zusammenwirkens mehrerer, die diesem jetzigen
Wollen unterstellt sein sollen. Aber auch dieser Inhalt des sozialen Wollens
soll objektiv richtig sein. Es soll eine rechte Art des Zusammenwirkens nach:
ihm bestehen. Die methodische Möglichkeit hierfür zu liefern: das ist die Auf-
gabe des richtigen Rechtes.
II. Richtige Moral. Die Idee der Freiheit ist nur die Vorstellung
von einem unbedingt gleichmäßigen Verfahren des Richtens. In diesem Sinne
ist die Idee des freien Wollens das einheitliche Grundgesetz für alles mensch-
liche Streben. Sie ist nun auf die verschiedenen Klassen des letzteren — das
sittliche und das soziale Wollen — anzuwenden.
Zwei Aufgaben
des richtigen
Wollens,