E. Die Idee des Rechtes. IV. Juristischer Empirismus. 45
sozialen Ideals ist mithin die Klarstellung der Idee der Freiheit die not-
wendige Voraussetzung; jenes ist von der letzteren abgeleitet und abhängig,
aber nicht etwa umgekehrt.
IV. Juristischer Empirismus. Hierunter begreifen wir diejenige Rich-
tung der Rechtswissenschaft, welche auch die letzten Fragen über das Wesen
des Rechtes ausschließlich mit einer Bezugnahme auf besondere recht-
liche Urteile und material bedingte Tatsachen der Rechtsgeschichte beant-
worten möchte.
In diesem Sinne ist häufig darauf hingewiesen worden, daß die Auffassungen Wechsel der
über die sachliche Berechtigung einer Rechtseinrichtung im Laufe der Ge- en
schichte überaus wechselnd seien. Die Völker halten das Verschiedenste für unrecht.
recht und für unrecht, und auch bei einem und demselben Volke gehen die An-
sichten über das, was richtig sei, oft stark auseinander. — Hier ist jedoch scharf
zu scheiden: der Gedanke der Richtigkeit als solcher und seine besonderen
Anwendungen. Jener ist abstrakt feststehend und wird von dem geschicht-
lichen Wandel der konkreten, ihn anwendenden Urteile nicht berührt. Bei
unserer Aufgabe handelt es sich nicht um die Frage: Was ‚richtig‘ ist? —,
sondern um die Erwägung: Unter welchen allgemeinen Bedingungen
etwas ‚richtig‘‘ sein kann? Ein absolutes ‚Recht‘‘, das wären Sätze mit be-
dingtem Inhalt, die aber doch unbedingten Bestand hätten, gibt es
freilich nicht, aber eine unbedingt gültige Methode, einen besonderen
Rechtsinhalt zu richten und zu leiten, die besteht. Und es ist der letzte
und oberste Gedanke, der in diesem Zusammenhange möglich ist, notwen-
digerweise nur ein einheitliches formales Verfahren, einen gegebenen
Inhalt von rechtlichem Wollen in Gedanken zu bearbeiten.
Es besteht also für jeden grundsätzlich Ausdenkenden die Aufgabe, auf
diese formale Methode sich zu besinnen, ihre Eigenart und Anwendbarkeit
sich deutlich zu machen. Dieser Aufgabe kann man nicht durch Verweisen
auf Urteile anderer Menschen genügen, auch nicht wenn man solche nimmt,
die man für ‚‚gerecht‘‘ oder ‚„anständig‘' hält; denn ob sie das begründeter- „Anständig“
maßen sind, will dem Zweifel gegenüber doch methodisch bewiesen sein seite
und führt also zu der obigen Frage nach der rechten Methode eines solchen
Beweises zurück. Das wird selbstredend auch dann nicht anders, wenn die
also autoritativ angerufenen fremden Menschen in einem bestimmten Kreise
von faktischem Einflusse wären, wie es bei der beliebten Bezugnahme auf die
„im Volke herrschenden Anschauungen‘ geschieht. Aber wenn die Frage lautet: „Herrschende
Was heißt es überhaupt ‚eine Uhr geht richtig?‘ — so kann das doch nicht *ungen.”
dahin beantwortet werden: das bestimmt sich nach unserer Kirchturmsuhr. —
So ist auch die Lehre von der möglichen Richtigkeit eines Rechtes ein
für sich bestehendes Problem und etwas ganz anderes, als die Beobachtung
dessen, daß gewisse Menschen in verschiedener Weise dieses oder jenes für
„richtig‘' gehalten haben oder nicht. Und wenn jemand zu unmittelbar prakti-
schem Zwecke einer technisch geforderten Rechtsentscheidung auf gewisse Ur-