Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

48 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft, 
V. Die Grundsätze des richtigen Rechtes. Die Unterscheidung 
von richtigem und unrichtigem Rechte ist eine erschöpfende und ausschließende. 
Jeder Inhalt eines positiven Rechtes ist entweder das eine oder das andere, 
und es kann in jeder besonderen Rechtsfrage von verschiedenen Möglichkeiten 
der Entscheidung, die sich wahlweise darbieten, immer bloß die eine 
„richtig‘‘ sein. Wohl aber vermag es zu geschehen, daß die entscheidende 
Auswahl Schwierigkeiten bereitet, und sich Zweifel herausstellen, welche von 
ihnen in dieser eigenen, bedingten Lage dem Grundgedanken des Rechtes in 
Methodischr Wahrheit entspricht. Darum ist nun vor allem die systematische Darlegung 
en eines methodischen Beweisganges erforderlich, in dem man den überzeugenden 
besonderen Falle. Nachweis des im besonderen Falle grundsätzlich Richtigen so gesichert zu er- 
bringen imstande ist, als solches überhaupt nur bei der Tätigkeit juristischer 
Subsumtion möglich erscheint. Ohne die entschlossene Besinnung auf die hier 
mögliche Methode des richtigen Rechtes wird immer die Gefahr jener verzweifeln- 
den Stimmung nahe liegen, daß man die Aufgabe einer nicht nur paragraphen- 
mäßig, sondern prinzipiell begründeten Entscheidung zwar einsieht, deren 
Lösung aber einem ‚unberechenbaren Element‘ oder dem ‚subjektiven 
Rechtsgefühl‘‘ anvertrauen oder für Sache einer ‚‚wissenschaftlich undiskutier- 
baren Überzeugung“ erklären möchte. Zu einer solchen Bankrotterklärung 
liegt für die theoretische Rechtswissenschaft kein Anlaß vor. 
Wenn nun eine Methode für den Beweis von richtigem Rechte dargelegt 
werden soll, so müssen wir erneut uns darauf besinnen, daß es der Inhalt von 
sozialem Wollen in seiner Eigenart ist, der richtig sein soll. Die Eigenart 
des sozialen oder verbindenden Wollens aber fanden wir (C, 2) darin ge- 
geben, daß es nicht das Wollen des Einzelnen für sich ist, sondern ein objektiv 
gedachter Willensinhalt über mehreren, der sie in gemeinsamer Zweck- 
setzung verbindet. Darum war es ein Fehler mancher Naturrechtslehrer, be- 
sonders Pufendorfs, dem Rechte die Aufgabe zuzuteilen, daß es Forderungen 
der Moral zwangsweise verwirklichen solle. Und auch neuere Juristen haben 
nicht gesehen, daß es sich um zwei selbständige Aufgaben handelt, die 
in der sittlichen Vervollkommnung des Einzelnen und in der richtigen Ausge- 
staltung des sozialen Wollens gegeben sind. Irrigerweise wird dann das Problem 
des gerechten Ausgleiches nach richtigem Rechte als eine angebliche Mahnung 
an das staatliche Gesetz aufgefaßt, sittliche Anforderungen, etwa die liebe- 
volle Gesinnung gegen den Nächsten, ‚durchzuführen‘, Aber durch die Lehre 
von dem richtigen Rechte soll ja gerade die bloße Verweisung auf 
die Moral des soeben wiederholten Sinnes vermieden werden. Jene Lehre 
Richtiges Wollen will zeigen, wie von dem Gemeinschaftsgedanken aus ein richtiges Wollen 
für andere fir andere methodisch durchführbar ist; sie nimmt dieses als eigene Auf- 
gabe des allgemeinen Grundgesetzes für menschliches Wollen auf und führt 
sie in selbständiger Deduktion der Lösung zu. Mithin ist es auch nicht 
an dem, daß die methodische Klarlegung des Gedankens von der möglichen 
Richtigkeit eines Rechtes an den Einzelnen ‚höhere‘ Anforderungen 
stelle, als dem Rechte zukäme: während doch gerade ein richtiges Recht
	        
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