Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

E. Die Idee des Rechtes. VI. Die Begründung des Rechtszwanges. 53 
des Innenlebens des Menschen ankommt (E. 2). Wollte man aber sagen, daß 
die Menschen durch Rechtszwang zur Fähigkeit moralischen Wollens er- 
zogen werden, oder: daß es immer noch besser sei, wenn man zu richtigem 
Verhalten gezwungen werde, als auch dieses noch, ebenso wie ein gutes 
Innenleben, zu entbehren, so hätte man einen bestimmten Inhalt eines 
Rechtes vorausgesetzt. Hier aber kommt es darauf an, ob man den Rechts- 
zwang an sich rechtfertigen kann, ohne schon auf die inhaltliche Art 
eines besonderen Rechtes einzugehen. Es kann auch schlechtes Recht 
geben, das doch als ‚Recht‘ gelten will. 
Sodann findet sich die Aufstellung, daß der Rechtszwang zur Erhaltung 
des Menschengeschlechtes notwendig erscheine, das sich sonst im Kriege 
aller gegen alle zerfleische (so Hobbes und, der Idee menschlichen Zusammen- 
wirkens zufolge, auch Kant — vgl. A. ı). — Allein der ungeregelte Kriegs- 
zustand der Menschen untereinander ist nur das Gegenstück von einem so- 
zialen Leben der Menschen überhaupt. Dieses braucht keineswegs ein recht- 
lich geregeltes Bestehen zu sein, es kann auch, seinem Begriffe nach, nur unter 
konventionalen Regeln statthaben. 
Soll daher der selbstherrliche Anspruch des rechtlichen Wollens in sich all- 
gemeingültig gerechtfertigt werden, so kann dies nur dahin geschehen, daß man 
einsieht, wie der Rechtszwang die notwendige Bedingung für eine gesetz- 
mäßige Ausgestaltung des sozialen Lebens ist. 
Ein soziales Leben wird dann gesetzmäßig geordnet sein, wenn es nicht 
nach begrenztem Belieben beherrscht, sondern in allgemeingültiger Weise 
geleitet wird. Dazu braucht man eine Art der Regelung, die ihrem Begriffe 
nach schlechterdings jedes denkbare Zusammenleben der Menschen in gleicher 
Weise umfangen soll. Eine solche Art ist allein das rechtliche Wollen, das 
sich durch seine Eigenschaft als bleibende Art der Verbindung in dem Merk- 
male der Selbstherrlichkeit von der bloß konventionalen Einladung, in 
dem der Unverletzbarkeit von dem willkürlichen Eingreifen unter- 
scheidet (C. 3, 4). 
Diese beiden legen den Entscheid über das Dasein und über die Art und 
Weise des Verbindens in das subjektive Belieben der Verbundenen oder 
des Verbindenden. Darum sind sie grundsätzlich ungeeignet, die formale Unter- 
lage für ein objektives Ausgestalten der menschlichen Gesellschaft abzugeben; 
die Verfolgung des letzteren wird unter ihrem bedingenden Eingreifen, das 
ja nur von Fall zu Fall geschieht, dem Zufalle anheimgestellt. Im be- 
sonderen kann der anarchistische Vorschlag, nur konventionale Gemein- 
schaften im sozialen Leben zuzulassen, darum nicht als grundsätzlich rich- 
tig erachtet werden (was er doch sein will), weil in dem Begriffe der Fähigkeit 
zu freier Konvention notwendig der Gedanke einer nur begrenzten Möglich- 
keit verbindenden Wollens gelegen ist. Erst muß der Bestand des sozialen 
Lebens als solcher in einer allgemeingültigen, dem bloß persönlichen Er- 
messen entzogenen Weise sicher gestellt sein, und dann tritt auch die Möglich- 
keit auf, den Inhalt eines besonderen Zusammenlebens objektiv zu richten.
	        
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