Vertrags-
freibeit.
Lücken im
Recht,
56 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
wie nachher dem Käufer anzuzeigen hat; das letztere darf unterbleiben, wenn
es „untunlich‘“ ist (HGB. 373).
Die Unterscheidung des geformten und des auszuwählenden Rechtes und
die zweifache Möglichkeit des ersteren finden sich in interessanter Weise bei
der Begrenzung der Vertragsfreiheit verwertet. Diese gehört bekanntlich neben
dem Privateigentum und der privaten Beerbung, zu den Grundgedanken unseres
Vermögensrechtes. Das Recht ordnet das Zusammenwirken zwar vielfach in
zentraler Weise im Sinne einer Einheitswirtschaft, aber es gibt doch zumeist
den einzelnen Unterstellten anheim, über ihren Beitrag zu dem sozialen Wirt-
schaftsprozeß selbst zu befinden und in eigener Entschließung anderen gegen-
über sich zu verpflichten und zu berechtigen. Leicht kann dieses persönliche
Ermessen zu einer objektiven Unrichtigkeit führen; so muß das Recht den
einzelnen schützen vor sich selbst. Als Mittel stehen dann wieder geformtes
und auszuwählendes Recht zur Verfügung (BGB. 134 und 138), wovon das erste
regelmäßig in zwingender Weise auftritt; so bei dem Verbote der Zinses-
zinsen (BGB. 248), der Veräußerung des künftigen Vermögens (BGB. 310)
des unentgeltlichen Verzichtes eines unehelichen Kindes auf den zukünftigen
Unterhalt (BGB. 1714), der vertragsmäßigen Verpflichtung, ein Testament zu
errichten oder zu unterlassen (BGB. 2302) u. a. m.
Endlich führt die Unterscheidung des geformten und des auszuwählen-
den Rechtes auch zur Lösung der viel erörterten Frage nach den Lücken im
Rechte. Dieser Ausdruck hat nur Sinn bei der Betrachtung des geformten
Rechtes. Hier wird er in einer zweifachen Bedeutung gebraucht. Das eine Mal
dann, wenn jemand auf neu aufgetauchte Fragen in dem vorliegenden geformten
Rechte vergeblich eine Antwort sucht; zum andern in Fällen, da er eine Aus-
kunft erhält, sie aber nicht für richtig erachtet und an ihrer Stelle einen anderen
Entscheid zu sehen wünscht. Das zweite stellt in der Meinung des Urteilers
eine ‚Lücke‘ im Sinn eines sachlichen Mangels dar; es zeigt sich ein Gegen-
satz zwischen dem technisch geformten Inhalte eines gesetzten Rechtes und
dem, was an seiner Statt innerlich begründet wäre. Auf diesen Zwiespalt wollen
wir am Schlusse unserer Erörterungen zurückkommen. Bei der erstgenannten
Möglichkeit haben wir ein Schweigen des geformten Rechtes vor uns.
Diese Art von „Lücken“ läßt sich immer ausfüllen. Nur die geformten
Regeln weisen sie auf. Diese bilden aber nur einen Teil des Rechtes überhaupt.
Das Recht als solches hat auf jede in seinem Bereiche entstehende
Frage auch eine rechtliche Antwort bereit. Bloß als geformtes Recht
zeigt es „Lücken“, als Recht überhaupt ist es lückenlos. Jenes zeigt sich
praktisch besonders häufig im öffentlichen Rechte, schon im Staats- und Ver-
waltungsrechte, wie vor allem im Völkerrechte; oft genug auch im bürger-
lichen Rechte, namentlich bei den Schuldverhältnissen, deren immer neue
Arten entstehen, ohne schon eine Regelung im Gesetze gefunden zu haben.
Möglicherweise können dann die zutreffenden Entscheidungen im Wege der
Analogie gefunden werden. Dann schließt man aus ähnlichen Voraussetzungen
auf die übereinstimmend einzustellenden Folgen. Aber es ist ungewiß, ob man