Einleitung. A. Geschichtliches. 67
dem Herdenleben. Neben dem Volk erscheint nunmehr die zweite Großmacht
der Geschichte, die ihrer selber sich bewußt werdende Einzelpersönlichkeit.
Sie nimmt die Führung der Volksentwickelung in die Hand. Sie sieht und er-
greift die höheren Ziele des Bildungslebens, allen damit dienend, nicht bloß sich
selbst. Sie ist es, die den Göttern das Feuer entwendet, um der ganzen Nation
mit heller Fackel voranzuleuchten. In der Entfaltung von freien, führenden
Einzelpersönlichkeiten beruht die Kraft und das Aufsteigen des nationalen
Lebens, beruht die Entwickelung der Kultur. Je größer die Zahl der zu Per-
sönlichkeiten ausgebildeten und damit wahrhaft gebildeten Einzelnen, um so
mächtiger ist das Volk, um so höher seine Leistungskraft, um so inhaltreicher
sein Leben. Für das Dasein solcher Persönlichkeiten aber ist das private
Eigentum, die private Familie die unentbehrliche Voraussetzung. Das Privat-
recht schafft der Einzelpersönlichkeit den Boden, in dem sie wurzeln, den
Raum für freie Bewegung, in dem sie atmen kann. Ohne Einzeleigentum keine
für das nationale Leben wirkungskräftige Einzelpersönlichkeit. Darin liegt
die Rechtfertigung des Privatrechts, des privaten Eigentums. Vom Stand-
punkt einer lediglich den Einzelnen als solchen betrachtenden Ethik kann das
Privateigentum niemals ausreichend begründet werden. Denn der Einzelne
als solcher hat keinerlei moralischen Anspruch, auf Grund dessen er wirtschaft-
liche Güter über das für die Lebensnotdurft unbedingt erforderliche Maß hin-
aus für sich allein fordern könnte, um sie anderen gleich Bedürftigen zu ver-
sagen. Nur für den als Bürger seinem Volke verbundenen und dienenden
Einzelnen rechtfertigt sich das Privateigentum. Damit das Volksleben voran-
schreite, damit geistige Güter ihren Glanz über das nationale Leben breiten,
damit das Volk wachse an Fülle und Kraft des Daseins, dazu bedarf es des
Privatrechts, das eine Reihe von Einzelnen nach oben führt, damit das von
ihnen Gewonnene wiederum allen zugute komme. Das Privatrecht wirft starke
Schatten, — aber nur weil es den Sonnenschein um sich verbreitet, der die Quelle
des gesellschaftlichen Lebens ist. Das Privatrecht der Gegenwart ist zugleich
die Widerspiegelung und die notwendige Voraussetzung für die Kultur
der Gegenwart.
Il. Bäuerliches und bürgerliches Privatrecht. In der Entwicke-
lung unseres Privatrechts können wir zwei große Stufen unterscheiden. Die
eine ist die Stufe des bäuerlichen (landwirtschaftlichen), die andere die des
bürgerlichen (stadtwirtschaftlichen) Privatrechts.
Das deutsche Privatrecht des Mittelalters war um des Ackerbaues und um Bäuerliches und
des Krieges willen da: es war bäuerlich-ritterlich. Der Landmann hatte es es
hervorgebracht: der Bauersmann und der aus der Zahl der Bauern empor-
gestiegene Edelmann. Die Kraft des deutschen Volkes wohnte auf dem Lande.
Das deutsche Privatrecht des Mittelalters war Landrecht. Es war das Recht
einer naturalwirtschaftlichen Zeit. Sein Interesse war der Besitz, ins-
besondere der Grundbesitz, — nicht der Verkehr.
Das Landrecht war nach den einzelnen Stammesgebieten (Ländern) ver-
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