Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

72 RUDOLPH SoHM: Bürgerliches Recht. 
mit allem seinem Anhang sollte beseitigt und ein deutsch geschriebenes, der 
Vernunft der Gegenwart entsprechendes neues Privatrechtsgesetzbuch an seine 
Stelle gesetzt werden. 
Das Zeichen zum Angriff auf das römische Recht ward von dem Preußen- 
könig gegeben. Friedrich Wilhelm I. verfügte, daß das römische Recht ‚‚abge- 
schafft‘‘ und ein ‚‚beständiges und ewiges Landrecht‘‘ an seine Stelle gesetzt 
werde (Edikt vom 21. Juni 1713; Kabinettsorder vom 18. Juni 1714). Aber 
das Werk war nicht so schnell getan. Aus der preußischen Anregung ist zu- 
Bayrische nächst das bayrische Landrecht von 1756 (Codex Maximilianeus bavaricus 
Landrecht, civilis) hervorgegangen, — ein noch schüchterner erster Kodifikationsversuch. 
Das bayrische Landrecht läßt einerseits die Geltung der bayrischen Partikular- 
rechte (der zahlreich in Bayern blühenden Stadtrechte und Ortsrechte), anderer- 
seits auch die Geltung des gemeinen Pandektenrechts unberührt. Es schiebt 
sich zwischen das gemeine Recht und die bayrischen Ortsrechte mitten ein, in 
der Absicht, das gemeine Recht für Bayern gesetzgeberisch darzustellen, die 
Streitfragen abzuschneiden und wenigstens tatsächlich das fremde gemeine 
Recht (dessen formale Geltung unverändert bleibt) durch ein deutsch geschrie- 
benes, den bayrischen Verhältnissen angepaßtes Gesetzbuch zu ersetzen. 
Preußisches In Preußen ist das Werk der Kodifikation erst gegen das Ende des 18. Jahr- 
Mandreckt. Hunderts zum Abschluß gebracht worden. Erst im Jahre 1794 ward das preußi- 
sche Landrecht als Gesetz veröffentlicht. Obgleich es nach dem Tode 
Friedrichs des Großen erschien, trägt es doch den Geist des friderizianischen 
Zeitalters in sich. Das preußische Landrecht macht mit dem Gedanken Ernst, 
das Corpus Juris zu beseitigen. Das gemeine deutsche Recht ward durch das 
Landrecht für die preußischen Staaten aufgehoben. An die Stelle des fremden 
Rechts trat ein nicht bloß deutsch geschriebenes, sondern auch zu einem sehr 
erheblichen Teile deutsch gedachtes Gesetzbuch. Das preußische Landrecht ist 
inhaltlich in sehr bedeutendem Maße preußisch, nicht römisch. Es bedeutet 
das erste große Gesetzgebungswerk, das dem römischen Weltgesetzbuche mit 
selbständiger und selbstbewußter Geisteskraft gegenübertrat. Der Wettkampf 
mit dem Corpus Juris ward unternommen, und das Werk hat sich als solches 
Zieles nicht unwürdig ausgewiesen. Aber das preußische Landrecht beschränkte 
sich darauf, das gemeine Recht zu ersetzen. Die in Preußen geltenden 
Partikularrechte (Provinzialrechte, Stadtrechte, Ortsrechte) blieben un- 
. berührt. Das preußische Landrecht sollte nur das ‚‚allgemeine‘‘ Landrecht 
für die preußischen ‚Staaten‘ sein. Es sollte an Stelle des bisherigen gemeinen 
Rechts ergänzend in die Lücken der preußischen Partikularrechte eintreten. 
Der Gedanke eines einheitlichen, die Rechtsverschiedenheiten beseitigenden 
preußischen Rechts war noch nicht da. Auch für Friedrich den Großen gab es 
noch keinen preußischen Staat, sondern nur preußische ‚„Staaten‘‘. Der Gedanke 
des Einheitsstaates fehlte. Darum fehlte auch der Gedanke des einheitlichen 
Rechts. 
Code divil. Der große Fortschritt, der den Staat aus einer Mehrheit von einzelnen, 
demselben Herrscher gehörenden Herrschaften, Besitztümern, Staaten in den
	        
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