Einleitung. B. Charakter und Inhalt des bürgerlichen Gesetzbuchs, 79
Pflichtteilsanspruchs lediglich ein Forderungsrecht hinsichtlich des Nachlasses zu,
niemals gegen den Willen des Erblassers ein Erbrecht. Hat der Erblasser jedoch
keine widersprechende Verfügung getroffen, so beerben ihn seine Kinder, und
zwar zu gleichen Teilen. Es gilt kein Vorrecht zugunsten eines Erstgeborenen
oder Letztgeborenen. Neben dem Grundsatz der Freiheit des Erblassers steht
der andere Grundsatz von der Gleichheit und Brüderlichkeit seiner Kinder.
Mit dem Freiheitsgedanken trifft der soziale Gedanke zusammen, der, wie ie
wir sehen werden, eine Reihe von Rechtssätzen des bürgerlichen Gesetzbuchs,
insbesondere für den Miet- und den Dienstvertrag, diktiert hat. Das Privat-
recht des bürgerlichen Gesetzbuchs hat modernen Stil. Es bringt die großen
Strebungen des heutigen Kulturlebens zum Ausdruck.
II. Sachliche Geltung des bürgerlichen Gesetzbuchs. Unser
Privatrecht nennen wir heute bürgerliches Recht. Das „bürgerliche Gesetz-
buch‘ ist seinem Namen nach das ‚Privatrechtsgesetzbuch‘‘ des neuen Deut-
schen Reichs. Es ist die Kodifikation des Privatrechts für die Zukunft. Aber
trotzdem enthält das bürgerliche Gesetzbuch nicht das gesamte nunmehr im
Deutschen Reiche geltende Privatrecht. Der Kodifikationsgedanke ist nur
teilweise durchgeführt worden. Neben dem bürgerlichen Gesetzbuch steht das
Einführungsgesetz, welches das Verhältnis des neuen Reichsprivatrechts zu
dem bisherigen Recht und damit die sachliche Geltung des bürgerlichen Gesetz-
buchs gegenüber sonstigem in Geltung bleibenden Privatrecht regelt. Erst
aus dem Einführungsgesetz ergibt sich das Gesamtbild des heutigen Privat-
rechtszustandes.
Das Einführungsgesetz macht einen Unterschied zwischen Reichsprivat-
recht und Landesprivatrecht.
Das Reichsprivatrecht, d.h. das durch die anderweitige Gesetzgebung nein
des neuen Reichs bereits geschaffene Privatrecht, bleibt grundsätzlich durch gesetzbuchs zu
das bürgerliche Gesetzbuch unberührt. Für das Reichsprivatrecht ist das ea
bürgerliche Gesetzbuch keine Kodifikation, d. h. soweit in anderweitigen Ge-
setzen des neuen Deutschen Reichs Privatrecht enthalten ist, bleibt es unver-
ändert in Kraft, soweit nicht aus den Einzelbestimmungen des bürgerlichen
Gesetzbuchs bzw. seines Einführungsgesetzes sich Änderungen ergeben. Auf
das in anderweitigen Reichsgesetzen enthaltene Privatrecht wirkt das bürger-
liche Gesetzbuch mit seinem Einführungsgesetz nur durch seinen Inhalt (so-
weit es abweichende Bestimmungen trifft), nicht durch sein Dasein. So blieb
also neben dem bürgerlichen Gesetzbuch die (inzwischen zum Range eines
Reichsgesetzes erhobene) Reichswechselordnung, das Reichshandelsgesetzbuch,
die Reichsgewerbeordnung mit ihren zahlreichen privatrechtlichen Vorschriften,
sowie eine Reihe von anderen privatrechtlichen Reichsgesetzen in Geltung.
Neben dem bürgerlichen Gesetzbuch blieb das anderweitige Reichsprivat-
recht.
Das Landesprivatrecht aber, d.h. alles Privatrecht, welches nicht auf Verhältnis zum
der Gesetzgebung des neuen Deutschen Reichs beruht (das bisherige gemeine Landesrecht.