Full text: Deutschland und der Weltkrieg.

  
330 Paul Darmstädter 
  
Die französische Diplomatie sah überhaupt, besonders in den letzten 
10 bis 15 Jahren, ihre Hauptaufgabe darin, überall systematisch der 
deutschen Politik entgegenzuarbeiten, Deutschlands Stellung in der 
Welt zu schwächen, seine Bündnisse zu erschüttern und andere Staaten 
in den Bannkreis Frankreichs zu ziehen. Die französische Staatskunst 
konnte sich bei diesen Bemühungen, in denen sie natürlich von Russen 
und Engländern unterstützt wurde, zweier nicht zu unterschätzender 
Mittel bedienen, die von ihr mit großem Geschick zur Förderung ihrer 
Zwecke verwendet wurden: der französischen Kultur und des französi- 
schen Kapitals. 
Oie französische Kultur und insbesondere ihr Hauptbestandteil, die 
französische Sprache, hat für viele Völker etwas überaus Bestechendes. 
Hat sie schon zeitweise bei den Völkern germanischer NRasse einen über- 
ragenden Einfluß besessen, so wirkt ihre Anzichungskraft selbstverständ- 
lich noch stärker auf die romanischen Mationen, die mitunter in ihr die 
„Kultur“ schlechthin erblicken und aus der Aberlegenheit der französi- 
schen Kultur über ihre eigene den naheliegenden Schluß ziehen, daß 
Frankreich auch im politischen Sinne als die Vormacht der „lateinischen 
Bölker“ zu gelten habe. 
Nicht minder wichtig ist die äußerst geschickte Verwendung der fran- 
zösischen Sparpfennige zur Vermehrung des politischen Einflusses 
Frankreichs: französisches Kapital ist in Staatsanleihen, Eisenbahnen, 
industriellen Unternehmungen und auch in Zeitungen anderer Länder 
angelegt und nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch in hohem Grade 
den politischen Zwecken Frankreichs dienstbar gemacht. 
ODer Einfluß Frankreichs ist natürlich besonders groß in den Län- 
dern, die zum französischen Sprachgebiet gehören, wie etwa in der fran- 
zösischen Schweiz und namentlich in Belgien. Man konnte eine Zeit- 
lang meinen, daß das geeinigte Italien dauernd der französischen 
Machtsphäre entrückt sein würde. Die Besetzung von Tunis durch die 
Franzosen (1881) verschlechterte die politischen Beziehungen des Ap- 
peninenkönigreichs zu Frankreich und bewirkte den Anschluß Italiens 
an die Zentralmächte. Es gelang Italien auch, sich wirtschaftlich von der 
Vormundschaft Frankreichs zu befreien, und die Hoffnung war nicht un- 
begründet, daß Italien auch eine von Frankreich unabhängige geistige 
Kultur aufbauen würde. Trotz alledem, trotz der feindlichen Haltung, 
die Frankreich lange Jahre hindurch allen italienischen Machtbestrebun-= 
gen gegenüber gezeigt hat — es sei nur an die Unterstützung erinnert, 
die Frankreich dem Abessinierfürsten Menclik gewährt hat —, ist es 
der französischen Diplomatic doch geglückt, bei der „Lateinischen Schwe-
	        
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