332 Paul Darmstädter
reichs entgegen. Die Politik Frankreichs gegenüber den Balkanstaaten
hat in der Hauptsache seit mehreren Jahrzehuten ebenfalls den Zwecken
Rußlands gedient. Es verdient aber noch erwähnt zu werden, daß
Frankreich sich in Griechenland und auch in Rumänien Sympathien
zu erwerben gewußt hat, die zum guten Teil wieder auf die sehr rüh-
rige kulturelle Propoganda zurückzuführen sind.12)
III.
Die größten Erfolge hat Frankreich nach 1871 in der Weltpoli—
tik, im Aufbau eines neuen Kolonialreichs von ungeheurer Ausdeh-
nung erzielt. Auch hier lagen alte Traditionen vor, die bis in die Zeiten
ARichelieus und Ludwigs XIV. zurückgehen. Der Wunsch, Frankreichs
Macht und Größe zu mehren, Ersatz für verlorene Gebiete zu finden,
militärische Lorbeern zu ernten, alle diese Motive sind für den fran-
zösischen Impcrialismus alter und neuer Zeit maßgebend gewesen; aber
es wäre ungerecht, zu verkennen, daß auch andere sehr wichtige Gründe
wirtschaftlicher und politisch-militärischer Matur diejenigen Männer be-
stimmt haben, die das moderne französische Kolonialreich aufgebaut
haben. Es ist richtig, daß Frankreich keinen Aberschuß an Bevölkerung
aufzuweisen hat und somit für Siedlungskolonien heute kein Bedarf
besteht. Dagegen sind gegen Konkurrenz gesicherte Absatzgebiete für
Frankreich um so wertvoller, weil die französische Industrie auf dem
freien Weltmarkt in vielen Zweigen den Wettbewerb nicht mehr auf-
zunehmen imstande ist. Von einiger Bedeutung ist natürlich auch für
Frankreich der Bezug von Rohstoffen und Nahrungsmitteln aus eige-
nen Kolonien. Sehr wichtig ist für ein Land, das über so große Kapi-
talien verfügt, die Möglichkeit, sie gewiunbringend in Kolonien zu ver-
werten. Ein großes Kolonialreich muß durch die Gewinnung von Stütz-
punkten an den wichtigen Welthandelsstraßen gesichert werden. Schließ=
lich besteht auch ein Zusammenhang zwischen der Weltpolitik und der
Revanchepolitik: Die Franzosen suchten mehr und mehr die Lücken, die
infolge des Geburtenrückgangs in den NReihen ihres Heeres entstanden,
durch die Heranziehung der Bevölkerung der Kolonien zum Waffen-
dienste auszufüllen. Meue Kolonien bedeuteten somit eine Verstärkung
Frankreichs auch für seine europäische Aufgabe.ts)
Die Wiederaufnahme der französischen Kolonialpolitik ist selbstver-
12) Griechenland ist auch finanziell von Frankreich abhängig.
13) Dieser Gedanke ist ausgeführt in dem von der französischen Akademie
preisgekrönten Werke von Mangin, korce noire.