Die Machtpolitik Frankreihs 343
Oie Algecirasakte, die auf der Sonveränität des Sultans fußte,
ließ sich nicht mehr aufrechterhalten. Das marokkanische Staatswesen
war völlig zerrüttet, und es blieb für Deutschland nichts anderes übrig,
als eine Liquidation der ganzen Marokkofragc herbeizuführen. Es ist
von französischer und englischer Seite immer behauptet worden, daß
Oecutschland einen Teil von Marokko hätte erwerben wollen. Diese An-
sicht ist von den amtlichen Stellen in Deutschland stets energisch be-
stritten worden. Es war die Absicht der deutschen Reichsregierung, für
die Aberlassung Marokkos an Frankreich ebenso wie dic anderen Mächte
eine Kompensation zu erhalten: Eine solche wurde in Zentralafrika ge-
sucht und gefunden. Frankreich wurde in dem Abkommen vom A. No-
vember 1911, das übrigens den freien Wettbewerb aller Aationen in
Marokko sicherstellte, dazu genötigt, Deutschland einen Teil seiner
Kongokolonic zu überlassen. Das französische Protektorat über Marokko
wurde dagegen von Deutschland anerkannt. Dic endgültige Abgrenzung
der beiden spanischen Interessensphären, die nicht unerheblich einge-
schränkt wurden, erfolgte in einem am 27. Aovember 1912 abgeschlosse-
nen Vertrag. Aber die Stadt Tanger ist, soweit bekannt, bisher noch
keine Einigung erzielt worden.
Frankreich hat so in diesen langwierigen Verhandlungen im wesent-
lichen seinen Willen durchgesetzt. Es mußte zwar in einec erhebliche
Landabtretung willigen, die überdies seine Kongokolonic an zwei Stellen
zerschnitt, aber es erlangte die ungleich wertvollere Herrschaft über den
größten Teil Marokkos. Das afrikanische Reich Frankreichs war jetzt
abgeschlossen.
VII.
Dic französische Weltpolitik des letzten Menschenalters ist außer-
ordentlich erfolgreich gewesen: Ein Gebiet von über 10 Millionen Oua-
dratkilomectern mit einer Bevölkerung von etwa 40 Millionen ist heute
Frankreich untertan, und weitaus der größte Teil dieses Gebiets ist erst
nach 1880 erworben worden. Es ist richtig, daß die Sahara einen un-
gemein großen Teil des französischen Kolonialreichs einnimmt; man
muß auch auf die Tatsache hinweisen, daß die Zahl der Europäer im ge-
samten französischen Kolonialrcich höchstens eine Million beträgt, und
daß selbst von diesen viele nicht französischer Aationalität sind. Aber weite
Gebicte in Nordafrika, am AMiger, an der Guinecaküste, in Madagaskar
und in Indochina sind fruchtbar, reich an Bodenschätzen, heute schon
wertvoll und einer großen Entwicklung fähig. Der Handel der fran-
zösischen Kolonien hat in der letztin Zeit einen sehr großen Aufschwung
genommen: Der Handel Frankreichs mit seinen Kolonien bezifferte sich