416 Hans Abersberger
wissen.?s) Erst später hat er von dieser Bindung Rußlands gegenüber
Österreich-Ungarn in bezug auf den Besitz von Bosnien und Herzegowina
erfahren, hat aber trotzdem die jeder Berechtigung entbehrende herausfor-
dernde Haltung Serbiens und Montenegros beschützt und die Abtretung
gewisser Teile Bosniens und Herzegowinas für diese beiden Staaten
verlangt; da aber Rußland militärisch nicht in der Lage war, die Politik,
die Izvolskij hauptsächlich gemeinsam mit England und teilweise schon
mit Italien gegen die Donanmonarchie seit der Annexion inauguriert
hatte, mit dem Schwerte weiter zuführen, mußte man in Petersburg
nach dem deutlichen Winke ans Berlin klein beigeben. Ende März
1909 endete also der diplomatische Feld zug, den Izvolski im Oktober
1908 begonnen, mit einer für das russische Prestige schmählichen Aie-
derlage. Aber da es nur eine diplomatische Niederlage war und von
der Gegenseite die militärisch inferiore Lage Nußlands, Serbiens und
Montenegros nicht ansgenützt worden war, um ein für allemal reinen
Tisch zu machen und die Existenz der österreichisch-ungarischen Mon-
archie im Süden sicherzustellen, so wurde diese Aiederlage für Ruß-
land mit zum Anlasse, seiner Feindschaft gegen Österreich-Ungarn nun
die vollen Zügel schießen zu lassen.
Der große Lärm, den die Annexion in Italien hervorgerufen, und
die zweideutige Haltung der italienischen Regierung, die im geheimen
alle Vorbereitungen zum Kriege gegen Österreich-Ungarn für das Früh-
jahr 1909 getroffen hatte, hatte die russische Politik auf diesen neuen
Bundesgenossen aufmerksam gemacht. Im Spätherbst 1909 erfolgte der
Gegenbesuch des Zaren in Nacconigi, wobei er demonstrativ einen gro-
ßen Umweg machte, um österreichischen Boden nicht zu berühren. Da-
mals scheinen geheime Abmachungen zwischen Rußland und Jtalien
gegen Österreich-Ungarn getroffen worden zu sein, die russischerseits den
Verrat an den Snüdsflawen, die es an Italien auslieferte, von Seite
Italiens den schändlichen Treubruch gegen den Bundesgenossen ein-
leiteten. Ein offener Bruch Italiens mit seinen bisherigen Bundes-
genossen war nicht erwünscht, denn, wie Fürst Grigorij Trubeckoj zu-
stimmend die Anschanungen eines französischen Diplomaten mitteilt,
„es könnte Italien, wenn es offen in das Lager des Oreiverbandes über-
ginge, ohne nützlicher geworden zu sein, an die nenen Bundesgenossen
Fordernngen stellen, auf die es jetzt kein Recht hat"“.2s)
Rußland grollte und war nun mit allen Mitteln bestrebt, sein als
slawische Schutzmacht verletztes Prestige sowie den Mißerfolg in der
28) Zapiski Ignatjeva. Historischer Bote 1914, Febr., S. 356, Anm. 1.
29) Fürst S. Trubeckoj, Rußland als Großmacht, S. 122f.