Full text: Deutschland und der Weltkrieg.

  
540 3 Hermann Oncken 
  
Auflösung Österreich-Ungarns, daß man den Staat jeder energischen 
Aktion für unfähig hielt oder es selbst darauf ankommen lassen wollte. 
Es konnte nicht anders sein, als daß die schwerverletzte Großmacht, 
die so lange die Bedrohung mit Langmut ertragen hatte, sich in diesem. 
Momente erhob. Aicht eine Frage des außeren Prestiges, sondern ihre 
Existenz stand auf dem Spiele, wenn sie diesen Angriff hinnahm. 
Man stelle sich einmal vor, ob und wie lange Rußland eine analoge 
feindliche Agitation in Schweden oder Rumänien, die auf Losreißung 
Finnlands oder Bessarabiens abgezielt hätte, gleichmütig ertragen haben 
würde, oder ob die Vereinigten Staaten eine dauernde friedenstörende 
Belästigung seitens Mexikos hingenommen haben würden: ob nicht viel- 
mehr beide Staaten, wenn eine derartige feindliche Agitation, mit einem 
großmächtlichen Dritten als Hintermann, das Leben ihrer Staatshäup- 
ter angetastet hätte, mit bewaffneter Sand und ohne jemand in der Welt 
zu fragen, sich ihr Recht und ihre Sicherung gesucht hätten. Um seiner 
selbst willen mußte jetzt oder nie Österreich-Ungarn die zu seiner Zer- 
störung bereiten Kräfte zum Stillstand bringen, selbst auf die Gefahr hin, 
daß die russische Offensivkraft sich bei diesem Versuche vollends ent- 
hüllte. 
Auch die deutsche Reichsregierung, die vor dem 23. Juli nur über 
die allgemeine Auffassung und Absicht Österreich-Ungarns unterrichtet 
war, hatte ihr vollends zugestimmt. „Aus vollem Herzen“, so sagt darüber 
das Weißbuch, „konnten wir unserem Bundesgenossen unser Einverständ- 
nis mit seiner Einschätzung der Sachlage geben und ihm versichern, 
daß eine Aktion, die er für notwendig hielte, um der gegen den Bestand 
der Monarchie gerichteten Bewegung in Serbien ein Ende zu machen, 
unsere Billigung finden würde.“ Auch wir verschlossen uns nicht gegen 
die Erkenntnis, daß ein Zusammenbruch der Doppelmonarchie, eine 
Unterwerfung des gesamten Slawentums unter das russische Zepter, 
die Stellung der germanischen Rasse in Mitteleurova unhaltbar machen, 
und daß cin in dieser Krisis allein gelassenes und moralisch geschwächtes 
Österreich auch für uns seinen vollen Bundesgenossenwert verlieren 
würde. Also ließ die deutsche Politik dem Bundesgenossen völlig freie 
Hand in seiner Aktion gegen Serbien, ohne an ihren Vorbereitungen teil- 
zunehmen oder die Einzelheiten des Ultimatums vorher zukennen.s) Wie 
schon mehrfach in früheren Fällen, waren die Zentralmächte, in Wahr- 
heit die Bedrohten gegenüber der immer höher anschwellenden Flut 
der Feinde, zu einer nur scheinbar diplomatischen Offensive genötigt. 
8) Mit Nachdruck hat die deutsche Diplomatie das vor allem auch dem Bot- 
schafter Cambon in Berlin gegenüber betont.
	        
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