Full text: Deutschland und der Weltkrieg.

  
  
Deutschlaud und das Weltstaatensystem 49 
sischen Expansionspläne; aber dieses Verhältnis hat beim Ausbruch 
des Krieges noch keine Rolle gespielt, sondern hat sich erst im Laufe der 
Ereignisse wirksam betätigt. Die deutschen Instruktoren bei der türki— 
schen Armee bedeuteten ebensowenig eine Beherrschung der Türkei durch 
Deutschland, wie die englischen Instruktoren bei der türkischen Marine eine 
solche Rolle für England mit sich brachten; nur hat allerdings die 
deutsche Militärmission mit dem Ernst und Eifer, der deutsche Offi- 
ziere auszeichnet, sich wirklich die Stärkung und militärische Erziehung 
der Osmanen angelegen sein lassen. Unsere wirtschaftlichen Interessen 
in Kleinasien und Mesopotamien begründen heute allerdings cine stär- 
kere Anteilnahme an den Balkanangelegenheiten als zur Zeit Bis- 
marcks; aber eine entscheidende Bedeutung für den Ausbruch des Krie- 
ges haben sie nicht gehabt. Wir haben aus der mesopotamischen An- 
gelegenheit so wenig einen Kriegsfall machen wollen wic aus der ma- 
rokkanischen. Wir hatten uns in der Mäßigung und Selbstbeschrän- 
kung, die unserem weltpolitischen System entspricht, mit England wie 
mit Rußland über die Frage der Bagdadbahn verständigt. Es ist eine 
ebenso lächerliche wie willkürliche und unbegründete Konstruktion, wenn 
ein amerikanischer Autor so argumentiert: zur Verwirklichung des le- 
vantinischen Weltreiches der Pangermanisten bedurfte es, nachdem Bul- 
garien im Einverständnis mit Österreich war, nur noch der Niederwer— 
fung Serbiens; daher der österrcichisch-serbische Konflikt und der 
Krieg.12) Es ist erstaunlich, daß solche Phantasiegebilde in ernsthaften 
Zeitschriften in Amerika an den Tag treten können. Deutschlands Poli- 
tik Rußland gegenüber läßt sich dahin zusammenfassen: sie war ent- 
schlossen, jedem Versuch Rußlands und seiner Agenten zur Zerstörung 
oder Herabwürdigung Österreich-Ungarns entgegenzutreten, selbst auf 
die Gefahr eines Krieges hin. Es darf dabei noch einmal auf ein Wort 
Bismarcks verwiesen werden 11): „Die Erhaltung der österreichisch- 
ungarischen Monarchie als einer unabhängigen, starken Großmacht ist 
für Deutschland cin Bedürfnis des Gleichgewichts in Europa, für das 
der Friede des Landes bei eintretender Aotwendigkeit mit gutem Ge- 
wissen eingesetzt werden kann.“ 
Wie Österreich-Ungarn für den russischen Panslawismus, so ist das 
Deutsche Reich für die britischen Weltherrschaftsbestrebungen das stärkste 
Hindernis. Die erfolgreiche Konkurrenz der dentschen Industrie im 
Welthandcl hat schon seit fast zwei Fahrzehnten die Eifersucht, den Neid, 
den Haß der britischen Geschäftswelt und der von ihr beherrschten 
13) North American Review, Oktober 1914 (Usher). 
14) Gedanken und Erinnerungen II, 253. 
Deutschland und der Weltkrieg 4 
 
	        
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