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Die fehlerhafte physische Erziehung der Kinder in den er-
sten Lebensjahren ist eine reichliche Quelle der großen Sterb-
lichkeit und der Gesundheitsstörungen auf dem Lande.
Hieher gehört das Einwickeln der Neugebornen in schmutzige
Binden und Windeln, der Aufenthalt derselben in schweren Bet-
ten, in heftig geschaukelten Wiegen neben dem überheizten Ofen,
die vernachlässigte Reinlichkeit bezüglich des Waschens, Badens
und des Wechselns der Wäsche. Oft werden die armen Ge-
schöpfe ganze Tage lang sich selbst überlassen oder höchstens unter
die Aufsicht kleiner Geschwister gestellt, welche sich selbst nicht
zu helfen wissen. Die Unsitte des künstlichen Auffütterns der
Kinder nimmt auf dem Lande immer mehr überhand; die Müt-
ter werden immer seltener, welche ihren Kindern die Brust
reichen; hie und da sollen die Hebammen selbst diesen Mißbrauch
befördern, damit die Frauen desto leichter wieder concipiren und
ihre Hilfe desto öfter in Anspruch nehmen.
Häufig werden schwächliche unentwickelte Kinder, namentlich
Mädchen zum Tragen jüngerer Kinder angehalten, zu frühe
schon auf anstrengende oder sonst nachtheilige Weise beschäftiget,
jüngst Entbundene unterziehen sich anstrengenden körperlichen
Arbeiten.-
Zur Hebung dieser Mißstände kann das ärztliche Personal
noch das Meiste beitragen, daher ist dasselbe, besonders auch die
Hebammen geeignet zu instruiren und aufzufordern, keine Ge-
legenheit vorübergehen zu lassen, die Mütter auf den rechten
Weg zu weisen.
Eine Hauptquelle des Siechthums auf dem Lande ist die
Vernachlässigung der Krankheiten. Es ist ein allgemein auf
dem Lande verbreitetes verderbliches Vorurtheil, daß gegen die
Krankheiten der Kinder ärztliche Hilfe nichts vermöge, oder daß
dieselbe nicht nothwendig sei; es werden daher die Aerzte höchst
selten zu kranken Kindern gerufen. Dadurch gehen viele zu
Grunde oder werden siech und elend für ihr ganzes Leben.
Diesem Vorurtheile ist kräftigst zu begegnen.
Die Visitationen der conscribirten Jünglinge liefern all-
jährlich den Beweis, daß die Krätze außerordentlich unter dem
Landvolke verbreitet ist, und daß von den damit Behafteten
nichts geschieht, um sich von diesem Uebel zu befreien, während
wenige Tage hiezu hinreichen würden.