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9. Berücksichtigung der Ausgaben neben den
Einkünften.
I. Erfreulicherweise bricht sich immer mehr in der Wissen-
schaft wie in der Gesetzgebung die Erkenntnis Bahn, daß, um
den Grundsatz der Besteuerung nach der Steuerfähigkeit be-
hufs gerechter Vermittlung zwischen Ausgleich der Opfer und
Schutz des Wohlerworbenen zur Durchführung zu bringen, das
Rein- oder Steuereinkommen der einzelnen selbst noch keines-
wegs das Maß für eine gerechte Belastung, sondern nur ein
Hilfsmittel zur Erreichung jenes Zieles ist, bei dessen Be-
nutzung teils Abzüge, teils Ergänzungen usw. geboten sind.
Unter diesem Gesichtspunkte ist daher besonders dring-
lichen Ausgaben der Steuerpflichtigen neben ihren Einkünften
bei der Bemessung des zu zahlenden Steuersatzes Rechnung zu
tragen. Dieser Forderung sucht auch die sächsische Gesetz
gebung zu entsprechen. In $ 13 des Einkommensteuergesetzes
ist bestimmt, daß ‚bei denjenigen Beitragspflichtigen, deren
Einkommen den Betrag von 5800 M.!) nicht übersteigt, be-
sondere, die Steuerfähigkeit wesentlich vermindernde wirt-
schaftliche Verhältnisse insoweit berücksichtigt werden kön-
nen, daß denselben eine Ermäßigung der in $ 12 vorgeschrie-
benen Steuersätze um höchstens 3 Klassen oder, falls die-
selben einer der 3 untersten Steuerklassen angehören, gänz-
liche Steuerbefreiung gewährt wird. Als Verhältnisse dieser
Art kommen lediglich (1.) außergewöhnliche Belastung durch
Unterhalt von Kindern, (2.) durch Verpflichtung zur Unter-
haltung armer Angehöriger, (3.) andauernde Krankheit und
(4.) besondere Unglücksfälle in Betracht.“
Indessen hat vorstehende Bestimmung noch einer Ergän-
zung bedurft.
Man hat nämlich erkannt, daß vorzugsweise in den wenig
bemittelten Klassen nicht erst eine „außergewöhnliche“ Kinder-
belastung nötig ist, um zwei Personen mit gleichem 'Einkom-
men verschieden steuerfähig zu machen, je nachdem Verhält-
nisse dieser Art vorliegen oder nicht. Schon der Umstand,
daß jemand verheiratet ist und für die Erhaltung und Er-
ziehung von auch nur ein oder zwei Kindern zu sorgen hat,
verringert seine Steuerfähigkeit gegenüber demjenigen, der
unter sonst gleichen Verhältnissen Junggeselle ist.
Von solchen Erwägungen ausgehend, stellte die II. Kammer
des Landtags 1901/02 den Antrag, nach dem Beispiele Preußens
den Einkommensabzug von 50 M. für jedes Kind unter 14 Jahren
1) Im Einkommensteuergesetz von 1874 war diese Grenze nur bis auf
1600 M. festgesetzt. Durch das Gesetz von 1878 wurde dieselbe auf 3300 M.
und durch die Novelle von 1894 auf 5800 M. erhöht.