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II. I. Die Überweisung der halben Grundsteuer an die
Schulgemeinden in Sachsen im Jahre 1886.)
In der Beibehaltung eines Teiles der Grundsteuer als allei-
nige Präzipualbelastung der Grundbesitzer gegenüber den an-
deren Besitz- und Vermögensklassen erblickten die ersteren
natürlich eine arge Ungerechtigkeit. Daher waren schon kurze
Zeit nach der Steuerreform 1878 aus den Kreisen der Grund-
besitzer Bestrebungen zur Beseitigung jener Sonderbelastung
des Grundbesitzes hervorgetreten. Um diese Bestrebungen nun
wenigstens zum Teil einzudämmen, entschied sich die Regierung
im Jahre 1886, da die Finanzverhältnisse es gestatteten, für
die Überweisung der Hälfte des Bruttoertrages der Grund-
steuer an die Schulgemeinden.
„Für diese Entscheidung“, so heißt es in den Motiven, „war haupt-
sächlich die Erwägung maßgebend, daß die Ansprüche an die Leistungen
der Gemeinden immer mehr ansteigen und infolgedessen die Gemeinde-
abgaben, insbesondere aber die Schullasten eine Höhe erreicht haben, welche
dieselben weit drückender empfinden läßt, als die Staatssteuern. Hierzu
kommt, daß nach den in der überwiegenden Mehrzahl der Gemeinden ob-
waltenden tatsächlichen Verhältnissen die unteren und mittleren Steuer-
klassen weit schärfer zu den Kommunallasten, als zu den Staatssteuern
herangezogen werden müssen, mithin durch die vorgeschlagene Maßregel
auch die auf dem letzten Landtage in Übereinstimmung mit der Ansicht
der Regierung lebhaft befürwortete Erleichterung der Steuerlast des weniger
bemittelten Teils der Bevölkerung erzielt wird. Ferner trägt die Über-
weisung auch den wiederholt ausgesprochenen Wünschen des Grundbesitzes
Rechnung und wird zu einer Erleichterung desselben führen, insoweit er
durch die Schulausgaben besonders belastet ist.“ 2)
Nach den Rechenschaftsberichten betrug die Dotation für
die Finanzperiode 1886/87: 2908462 M., d. h. 1454231 M.
pro Jahr. Seit 1902 sind aber die Dotationen auf den für das
Jahr 1900 berechneten Betrag von 1961000 M. mit Rücksicht
auf schlechte Finanzverhältnisse des Staates beschränkt wor-
den, so daß die Steigerung der Grundsteuererträge nunmehr
wieder der Staatskasse allein zugute kommt (Art. III, Gesetz
vom 3. Juli 1902).
ı) Vgl. Schanz’ Finanzarchiv Bd. IV S. 1123 ff.; Dekret an die Stände
vom 9. Novbr. 1897 (Denkschrift S. 1ff., 8ff.); Denkschrift, die Weiter-
führung der Reform der direkten Steuern betreffend, vom 12. Novbr. 1901.
2) Mit Rücksicht auf die durch die steigenden Ausgaben an Matri-
kularbeiträgen an das Reich herbeigeführte Verschlechterung der Finanz-
lage war in dem Entwurf des Staatshaushaltsetats für die Finanzperiode
1894/95 die Schuldotation in Wegfall gebracht. Dieser Vorschlag stieß aber,
namentlich in der II. Kammer, auf allgemeinen Widerstand. Man machte
namentlich geltend, daß durch einen plötzlichen Wegfall der Überweisungen
die Etats der Gemeinden Störungen erlitten. Und daher entschloß man
sich für Wiedereinstellung der Schuldotation und für die Beschaffung der
hierzu erforderlichen Mittel im Wege der Einkommensteuergesetzgebung.
Aus diesem Anlasse entstand die Novelle zum Einkommensteuergesetz vom
10. März 1894.