98 Im Reichstage (1870 bis 1874)
wolle. Ich mahnte noch, er solle das ja im Auge behalten. Denn durch
langes Anfragen werde die Sache verdorben. Noch muß ich beifügen,
daß Bismarck mir auch sagte, er gehe mit nach Petersburg, um die Ein-
flüsterungen aller alten Weiber von Europa, die auf den Kaiser los-
gelassen würden und in Petersburg auf ihn warteten, zu paralysieren.
Abends Festtheater: „Iphigenie“ von Eluck, alle Zuschauer im ersten
Rang und im Parterre in Gala. Während eines Zwischenakts Cercle
im Konzertsaal hinter der königlichen Loge. Reicher Diamantschmuck der
Damen. Nach dem Theater mit Viktor, Amêélie, Hermann, Sagan
und Radziwill bei der Kaiserin im Palais zum Tee. Beim Verabschieden
verwickelte sich der Kaiser mit einem Sporn in den Teppich und fiel, aber
glücklicherweise nur auf einen Fauteuil. Hermann und ich wollten ihn
aufheben. Er war aber schon wieder auf den Beinen, als wir herzukamen.
Berlin, 24. April 1873.
Ich aß heute mit Tauffkirchen zu Mittag und ging dann mit ihm
ins Theater. Er erzählte mir, daß Bismarck wünsche, Perglas möchte
durch ihn in Berlin ersetzt werden. Bei der großen Cour hat, wie mir
Radowitz erzählt, eine violente Szene zwischen Bismarck und Perglas statt-
gefunden. Bismarck hat, wie es scheint, die Gelegenheit vom Zaune ge-
brochen, Perglas eine Szene zu machen. Perglas hatte die Ungeschicklichkeit,
sich nicht zum Bundesrat, sondern zum diplomatischen Korps zu stellen.
Darüber machte ihm Bismarck Vorwürfe und ging so weit, die Konversation
französisch fortzusetzen: „Comme vous étes membre du corps diploma-
tique, je dois parler avec vous la langue diplomatique"“ u. s. w. Perglas
soll ganz blaß geworden sein. Mir scheint, daß seine Stellung unhaltbar
geworden ist.
Von Rom erzählte Tauffkirchen, daß die Papstwahl in Rom statt-
finden wird. Die Kardinäle seien viel zu unbeweglich, als daß sie zu dem
Entschluß kommen könnten, anderswohin zu reisen, um das Konklave ab-
zuhalten. Er beklagt sich über das Ministerium in München, das ihm
keine andre Stelle geben wolle, und er ist augenscheinlich hier, um für
seine Versetzung nach Berlin oder in den Reichsdienst zu wirken.
Berlin, 23. Mai 1873.
In der Sonnabendsoiree von Bismarck wurde die Vertagungsfrage
besprochen. Ein Teil der Abgeordneten ist dafür, insbesondere die Preußen,
die ihres Landtags wegen müde sind, die andern wollen fortberaten bis
Ende Juni und keine Herbstsession haben. Das wird sich demnächst ent-
scheiden. Bismarck sprach sein Bedauern aus, nicht nach Bremen mitgehen
1) Ausflug des Reichstags zur Besichtigung der Flotte in Wilhelmshaven.