Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Im Reichstage (1870 bis 1874) 99 
zu können. Er sagte ferner, es sei gut, daß ich die Führung des Reichs- 
tags übernehme und nicht Simson, weil dann zwar weniger schön gesprochen, 
aber taktvoller verfahren würde. Warum er Simson weniger Takt zu- 
traut als mir, weiß ich nicht. 
Die Frage des Reichstagsgebäudes wurde in der Fraktion verhandelt. 
Die Mehrheit war gegen das Krollsche Etablissement, weil es zu weit sei. 
Ich formulierte meinen Antrag, der Beifall fand. Als am Montag dem 19. 
die Sache im Reichstag beraten wurde, hatte ich das Präsidium, konnte also 
meinen Antrag nicht selbst einbringen. Als nun die Diskussion immer erregter 
wurde und Lasker der Opposition vorwarf, daß sie keine Vorschläge mache, 
schickte ich Schleiden meinen Antrag, der dann von diesem eingebracht und 
bei namentlicher Abstimmung angenommen wurde. 
Am Mittwoch früh ging die große Reichstagsfahrt nach Bremen vor 
sich. Um 7 Uhr fand sich die Gesellschaft, viele Bundesratsmitglieder 
und eine große Zahl Reichstagsabgeordneter, auf dem Lehrter Bahnhofe 
zusammen. Ich kam mit Stosch, Moltke, Bennigsen in einen Salonwagen 
zu sitzen. In Uelzen hielt der Zug. Wir wurden in ein festlich geschmücktes 
Bahnhofslokal geführt, wo die Magdeburg-Halberstädter Eisenbahngesell- 
schaft uns ein großes Dejeuner offerierte. Der Direktor der Bahn hielt 
eine konfuse Ansprache, auf die ich antwortete, auf den ernsten Zweck der 
Reise hindeutend und dann den Dank aussprechend, daß die Gesellschaft 
der Bahn „zu dem ernsten Tagewerk den Schmuck des Festes gefügt habe“. 
Nun glaubte ich ruhig essen zu können, als plötzlich im Hintergrunde des 
Saals eine Stimme ertönte: „Meine Herren!“ Es war der Bürgermeister 
von Uelzen, der uns im Namen der Stadt bewillkommte. Delbrück, der 
sich darauf nicht gefaßt gemacht hatte, bat mich, auch darauf zu antworten, 
worauf ich denn wieder losschrie (denn der Saal war riesig groß) und 
auf die Bürger von Uelzen ein Hoch ausbrachte, es als ein günstiges Zeichen 
für die Einigkeit der deutschen Stämme von den Alpen bis zur Lüneburger 
Heide deutend, daß ein süddeutscher Volksvertreter diese norddeutsche Stadt 
begrüße. Man war mit diesen mangelhaften Improvisationen zufrieden. 
Dann ging es weiter nach Bremen. Dort empfing uns H. H. Meier auf 
einem Postament, das er sich zur Anrede hatte bauen lassen. Delbrück 
antwortete im Namen des Bundesrats und des Reichstags. Dann fuhren 
wir in unfre Quartiere. Ich kam mit Fäustle und Luxburg zum bayrischen 
Konsul Lürmann, wo wir in einem hübschen Hause an der Promenade 
von der Familie empfangen wurden. Bremen sieht aus wie eine hübsche 
englische Landstadt und macht einen sehr angenehmen Eindruck. Um ½4 Uhr 
war das große Festessen in der Börse, von dem die Zeitungen ausführlich 
berichtet haben. Meine Rede war sehr gut ausgearbeitet, ich mußte aber 
so stark schreien, um den großen Saal auszufüllen, daß mir nach der
	        
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