100 Im Reichstage (I870 bis 1874
Hälfte vom Schreien schwindlig wurde und ich beinahe stecken geblieben
wäre. Es ging aber gut ab und der Zwischensall wurde nur von den
Zunächstsitzenden bemerkt.
Abends Soiree bei Meier und dann bei Mosle. Sehr elegante
Wohnungen.
Am andern Tag früh ½27 Uhr Fahrt mit der Bahn nach Bremer-
haven. Dort schifften wir uns auf dem schönen Dampfer des Norddeutschen
Lloyd ein. Es ist das einer der dreißig Dampfer, die nach New York gehen
und zwölfhundert Passagiere führen können. Die Einrichtung ist sehr komfor-
tabel, der Dienst vertrauenerweckend. Es sollen jetzt die besten Schiffe nach
Amerika sein. Hier natürlich Dejeuner, Reden, allgemeiner Jubel. Später
wurde die See etwas bewegt, doch nur wenige spürten Seekrankheit. Das
Wetter war herrlich. Zahlreiche Schiffe fuhren mit. Später bei der Einfahrt
in den Jadebusen wurde ein kleines Manöver von drei Kriegsschiffen,
„Ariadne,“ „Hertha“ und „Loreley“, aufgeführt. Vor Wilhelmshaven sahen
wir noch drei Torpedoexplosionen an, die gut gelangen. Die Wirkung, die sich
uns darstellte, war, daß das Meer über dem explodierenden Torpedo in einer
wundervollen dicken Fontäne in die Luft getrieben wurde. Dann zu Fuß Be-
sichtigung der Werften und einiger Schiffe, „Augusta“ und „Friedrich
Karl“. Die Manöver, die auf letzterem Schiffe von den Matrosen aus-
geführt wurden, das Segelhissen u. s. w. waren sehr interessant. Um 5 Uhr.
großes Diner auf dem „König Wilhelm“ mit den obligaten Reden. Hier hatte
ich die Vertretung des Reichstags an Bennigsen übergeben, der seine Sache
sehr gut machte. Um 9 Uhr gingen wir nach dem Bahnhofe, der etwa zehn
Minuten vom Hafen entfernt liegt, und fuhren mit einem Extrazug nach
Berlin zurück, wo wir heute Morgen ½7 Uhr ankamen. Ich saß mit
Moltke, Stosch und einem Marineoffizier in einem Salonwagen, wo jeder
von uns ein Kanapee zum Schlafen hatte, so daß ich ausreichend aus-
geruht hier ankam.
Berlin, 5. Juni 1873.
Gestern von Grabowot) zurück. Die Reichstagssitzung war schwach
besucht, und so fand denn auch auf Antrag des Freiherrn von Ketteler die
Auszählung statt, die ergab, daß wir nicht beschlußfähig waren, worauf
die Sitzung aufgehoben wurde. Während der Sitzung hatte ich im Vor-
saal eine interessante Unterhaltung über das Reichstagsgebäude. Es fand
sich eine Anzahl Abgeordneter mit Delbrück vor dem Stadtplan ein und
diskutierte den Platz für das neue Gebäude. Ich sah zu meiner Freude,
daß alle darüber mit mir einverstanden waren, daß das beste sei, das
Gebäude in dem Raum bei der Porzellanfabrik aufzuführen. Von Kroll
1) Gut in der Provinz Posen, das der Fürst erworben hatte.