Im Reichstage (1870 bis 1874) 3
die Konzilsbeschlüsse betrifft, so wird die Bemerkung genügen, daß eigent-
liche Konzilsbeschlüsse, gegen welche zu protestieren wäre, auch bis heute
nicht gefaßt sind, daß aber der Kardinal Antonelli jeden Gesandten, der
auch nur Auskunft über die auf dem Konzil zur Sprache kommenden
Gegenstände zu erhalten versuchte, mit der höflichen Bemerkung abwies,
daß der Heilige Vater und er selbst von der bevorstehenden Tätigkeit der
ökumenischen Versammlung nichts wissen könnten, daß die Freiheit der
Beratung des Konzils jede Einwirkung ihrerseits ausschließe u. s. w. Gegen
was und bei wem hätte man also protestieren sollen? Nicht ihre Isoliert=
heit würde die Regierung abgehalten haben, eine an sich notwendige
Maßregel zu ergreifen, wohl aber mußte die Erwägung entscheiden, daß
eine Regierung keinen Schritt tun darf, dessen Erfolglosigkeit von vorn-
herein außer Zweifel steht. "
Man hat sich seinerzeit vielfach bemüht, die Zirkulardepesche vom
9. April als einen solchen Schritt darzustellen. Sie war es nicht.
Wenn nicht der Einfluß der Jesuiten an den Höfen und in den
Kreisen der Staatsmänner, wenn nicht die Rücksicht auf die innere
Situation der einzelnen Staaten das Eingehen auf die Vorschläge der
Depesche vom 9. April verhindert hätte, so konnte die in jener Depesche
vorgeschlagene Konferenz eine gleichmäßige oder gemeinsame Haltung der
europäischen Regierungen ermöglichen, welche von dem entschiedensten Ein-
flusse auf die Haltung der Kurie gewesen wäre. Einer ernsten Mahnung
der auf einer europäischen Konferenz vertretenen Regierungen hätte der
Papst sein Ohr nicht verschlossen. Aber auch nur das gemeinschaftliche
Vorgehen der Regierungen konnte einen Erfolg herbeiführen, ebenso wie
die Aufhebung des Jesuitenordens nur durch die gemeinschaftliche Aktion
der europäischen Regierungen bei Klemens XIV. durchgesetzt werden konnte.
Wenn sich die bayrische Regierung seit der Depesche vom 9. April zu
keinen entscheidenden Schritten veranlaßt gesehen hat, so lag der Grund da-
von nicht allein in den oben dargelegten Verhältnissen, sondern auch in den
durch die innere Lage des Landes bedingten Erwägungen. Die Partei,
welche die Schritte des Fürsten Hohenlohe gegenüber dem Konzil in den
Organen ihrer Presse auf das heftigste verdammte, hatte in den Mai-
wahlen die Moajorität erlangt. Die liberale Partei blickte mit Gering-
schätzung auf das Konzil und auf die Tätigkeit des bayrischen Ministers
in den der gegenwärtigen Zeit so fernstehenden, angeblich theologischen
Streitigkeiten. So fehlte der Halt der öffentlichen Meinung, welchen
diplomatische Schritte nicht entbehren können. Diplomatische Noten, welchen
man den Vorwurf entgegenhalten kann, daß sie im Widerspruch mit der
durch die Mehrheit der Landesvertretung repräsentierten Anschauung des
Landes stehen, sind immer eine mißliche Sache.