102 Im Reichstage (1870 bis 1874)
teidigte seinen Standpunkt. Samstag Abend war ich bei Bismarck. Es
war da viel die Rede von Viktors Adresse schlesischer Katholiken, 1) und
Bismarck war sehr erfreut, daß Viktor sich dazu hatte bereit finden lassen.
Er hofft, daß das gute Folgen haben werde, und gab mir den Inhalt der
Antwort an, die der Kaiser darauf erlassen werde. Wir wollen sehen,
was daraus folgen wird. Sonntag war ich mit Viktor und Carl Salm
nach Babelsberg zum Diner geladen. Wir trafen auf dem Bahnhofe
mit Roggenbach zusammen. Der Park von Babelsberg war in seinem
schönsten Zustand. Der Kaiser schien wohl und heiter. Ebenso der Kron-
prinz. Die Kaiserin unterhielt sich mit mir über seltene Bücher. Nach
Tische zeigte sie uns ihre Hühner. Dann Rückkehr nach Berlin.
Heute Reichstagssitzung, am Schlusse der große Spektakel zwischen
Bismarck und Lasker. Beide hatten unrecht. Bismarck fehlte in der Form.
Das Zentrum hatte Freude an dem häuslichen Zwist.2)
Berlin, 23. Juni 1873.
Der Reichstag geht zu Ende. Photographien werden ausgetauscht
und Fraktionsessen gehalten. Wir hatten gestern unser Essen. Ich hatte
Simson und Gneist eingeladen und die Einladung zum sogenannten
Schrippenfest in Potsdam mit Stillschweigen übergangen. Um 4 Uhr
versammelte sich die Fraktion in der Restauration des Reichstagsgebäudes.
Wir waren wenig zahlreich, was beim Reden störend ist, da dann die
nötige Anregung der zuhörenden Menge fehlt. Ich hatte den Toast auf
den Kaiser auszubringen und tat dies mit wenigen Worten. Dann brachte
Bernuth Simsons Gesundheit aus. Dieser antwortete in längerer kunst-
voller Rede. Er dankte und bemerkte, daß er die Erfolge seiner parlamen-
tarischen Wirksamkeit seiner Tätigkeit als Richter verdanke. Auf diese
Tätigkeit und die erfreulichen Erfahrungen übergehend, sprach er von Frank-
furt, von der Verbindung Süddeutschlands, der Einigung aller Stämme
und kam dann auf mich zu sprechen, in sehr liebenswürdiger Weise den
Goetheschen 3) Vers auf mich zitierend:
1) Die nach der Publikation der Kirchengesetze an den König gerichtete Adresse
nichtultramontaner Katholiken vom 14. Juni 1873. Der König dankte in einem
Schreiben an den Herzog von Ratibor vom 22. Juni.
2) Lasker hatte mit Bezug auf Initiativanträge von „Rechten des Volks“
gesprochen. Bismarck tadelte die „deklamatorische Abschweifung auf die sogenannten
Volksrechte“ als „Reminiszenzen aus einer vergangenen Zeit“. Er erklärte, auch
Volksvertreter zu sein, und verbat sich, „den Namen des Volks zu monopolisieren
und ihn davon auszuschließen“.
8) Herr Professor Erich Schmidt hatte die Güte, dem Herausgeber mitzuteilen,
daß diese Verse aus dem Gedichte stammen: „Die Feier des 28. August dankbar
zu erwidern“, 1819, Weimarer Ausgabe 4, 42.