Im Reichstage (1870 bis 1874) 105
Von Gustav sagt Gelzer, daß dessen Freunde seine Rückreise nach
Rom jetzt nicht für nötig halten. Daß er aber zum Konklave zurückkomme,
wird als eine Notwendigkeit angesehen, der er sich nicht entziehen könne.
Gelzer will ihm in diesem Sinne schreiben. Man glaubt, daß der Papst
mit der kälteren Jahreszeit wieder die Anfälle bekommen könne, an denen
er in diesem Frühjahr gelitten hat, und die sehr gefährlich waren, An-
schwellungen des Körpers mit Kongestionen, die den Tod herbeiführen
können.
Altaussee, 9. September 1873.
Gestern Fortsetzung der Unterhaltung mit Gelzer. Was die künftige
Papstwahl betrifft, so hat Gelzer erfahren, daß Riario Sforza früher von
der italienischen Regierung als geeigneter Kandidat angesehen wurde, jetzt
aber von ihr wieder aufgegeben ist. Es scheint, daß in den Tagen, in
welchen Pius IX. krank war, eine Sondierung des Kardinals Riario statt-
gefunden hat, aber ohne Resultat geblieben ist, oder wenigstens kein er-
wünschtes Resultat gehabt hat. Jetzt hat die italienische Regierung keinen
Kandidaten. Gelzer glaubt, die deutsche Regierung könne sehr wohl Ein-
fluß auf das Konklave haben und müsse auch auf die italienische Regie-
rung drücken, damit diese ihre Fäden spielen lasse. Es sei wahrscheinlich,
daß irgendein alter Kardinal gewählt werde, der in der bisherigen Weise
fortgehe. Doch kann man gar nicht voraussehen, wie die Wahl ausfallen
wird. Wir besprachen dann die Frage, was für Deutschland besser sei,
die Wahl eines enragierten Zeloten, der von Rom weggehe und alles
drunter und drüber bringen wolle, oder eines gemäßigten. Gelzer neigt
zu der Meinung, daß letzteres zweckmäßiger sei, da man nicht wisse, wie
weit die Bevölkerungen zu fanatisieren seien. Ueberhaupt denkt er viel
darüber nach, wie die kirchlichen Wirren zu beendigen seien, und tadelt,
wenn auch ganz leise, das zu große Vertrauen in die Kirchengesetze und
in die Gesetze überhaupt. Es sei schwer zu entscheiden, ob es gefährlicher
sei, die Bischöfe zu Märtyrern zu machen oder die Gesetze nicht in ihrer
ganzen Strenge zur Anwendung zu bringen. Ein Mittelweg könne ge-
funden werden, doch bedürfe man dazu in Rom eines aufgeklärten Mannes,
mit dem ein vernünftiges Wort zu reden wäre. Dieser fehle durchaus.
Eben deshalb hoffe er auf einen gemäßigten Papst.
Der Kronprinz hat sich Gelzer gegenüber nicht ganz zustimmend ge-
äußert. Die Kronprinzeß tadle den Kirchenkonflikt, weil er von Bismarck
hervorgerufen sei, den sie haßt. Trotzdem glaubt Gelzer, daß der Kron-
prinz, wenn er zur Regierung kommen sollte, sich nicht von seiner Frau
leiten lassen werde. Er wird, wie wir beide glauben, Bismarck fortdauernd
als Ratgeber behalten.
Abends begleitete ich Gelzer in den Markt, wo wir uns um 7 Uhr trennten.