Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

110 Im Reichstage (1870 bis 1874) 
Berlin, 6. März 1874. 
Ich begegne mehr und mehr unfreundlichen Gesichtern unter der 
preußischen Aristokratie und den jungen Diplomaten, die an meiner Er- 
nennung Anstoß nehmen und sich in ihren Avancementshoffnungen gestört 
sehen. Seitdem meine Designation bekannt ist, war ich schon wenigstens 
viermal bei Hof. Niemals aber hat die Kaiserin mit mir darüber ge- 
sprochen. Es gibt doch sonderbare Leute in der Welt. Die Opposition 
gegen Bismarck führt die Kaiserin zu den sonderbarsten Dingen. Die 
Kronprinzessin sagte mir: „Ihnen gelingt ja alles, was Sie anfangen."“ 
Die Zeitungen sprechen im allgemeinen günstig über die Sache. Die einen 
sagen alles Gute von mir, die andern sprechen mir viele gute Eigen- 
schaften ab. An der Ernennung aber findet niemand etwas zu erinnern. 
Windthorst gratulierte mir eben in der Sitzung. Er sagt, die größte 
Schwierigkeit sei nicht in Paris, sondern in den Aufträgen, die ich von 
hier bekommen würde. 
Die gestrige Soiree, der der Kaiser nicht beiwohnte, war zu Ehren 
des Grafen und der Gräfin von Flandern. Er ist ein höflicher Mann, 
der in Uniform sehr unmilitärisch aussieht. Sie eine echte Schwarz-= 
wälderin. ) 
Bismarck ist an rheumatischen Leiden krank. Gestern war nur die 
Fürstin mit ihrer Tochter bei der Soiree. Es wurde eine französische 
Komödie aufgeführt. Warum die Keiserin nicht deutsche Vorstellungen 
geben läßt statt dieser schlechten französischen Truppe, ist mir unerklärlich. 
Die hiesigen deutschen Schauspieler sind doch zehnmal besser. Beim 
Souper saß ich nicht wie sonst am Tisch der Kaiserin, sondern zum ersten 
Male an dem der Kronprinzessin. Natürlich, denn ich gehöre ja jetzt 
nicht mehr zu denen, mit welchen sie über die schlechten Zeiten seufzen 
kann. Neben mir saß Prinz Hassan, der Sohn des Vizekönigs von 
Aegypten. Ein netter, wohlerzogener Mann, der Leutnant bei den Garde- 
dragonern ist. 
Im Reichstag findet die Debatte über den Impfzwang statt, eine 
Frage, in der, wie es scheint, die Ultramontanen mit den Sozialdemokraten 
gemeinschaftliche Sache machen. Beide sind gegen den Impfzwang. Die 
Diskussion wird sich wohl noch mehrere Stunden fortspinnen. Ich unter- 
breche mein Journal, weil mich die Diskussion zu sehr stört. 
Berlin, 16. März 1874. 
Das Gesetz, die Internierung und Ausweisung renitenter Geistlicher 
betreffend, wird im Bundesrat beraten und soll schon angenommen sein. 
Aengstliche Gemüter im Reichstag wünschen, daß es nicht beraten werden 
1) Geborene Prinzessin von Hohenzollern. 
 
	        
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