112 Im Reichstage (1870 bis 1874)
und beruhigend wirken werde. Die Stellung Bismarcks gegen Frankreich
sei provozierend. Man wolle Frankreich zum Kriege zwingen u. s. w.
Ich erwiderte, wenn die Franzosen ihr Geschrei nach Revanche aufgeben
wollten, so wäre die Gefahr beseitigt.
Ziegler 1) sagte heute, der Weg ins Reichskanzleramt gehe über Paris.
Ich hoffe, daß diese Prophezeiung nicht richtig sein möge.
Berlin, 26. März 1874.
Gestern mit Gelzer gesprochen: kirchlicher Konflikt, Bismarcks Krank-
heit und die Möglichkeit einer Reaktion und Einfluß Manteuffels. Er
meint, Bismarck müsse sich einen Stellvertreter suchen, der dem Kaiser
und ihm gleiches Vertrauen einflöße, und das sei ich. Ich hob hervor,
daß man vorsichtig sein müsse. Der Name „Bismarck" sei eine Macht
und dürfe nicht beiseite gesetzt werden. Ich selbst sei zu dieser Stelle
nicht geeignet.
Heute Abend bei dem Großherzog. Er sprach in ähnlichem Sinne
wie Gelzer, nur erwähnte er nicht, daß er mich zum Nachfolger oder
Stellvertreter Bismarcks ausersehen habe. Bezüglich des Kirchenkonflikts
bedauert er die Art, wie dieser angefangen sei. Längere Vorbereitung
sei nötig gewesen und bessere Leute als die, deren Bismarck sich bediene.
Die gegenwärtige Lage hält er für bedenklich. Die Haltung der national-
liberalen Partei in der Frage der Militärorganisation werde benutzt, um
den Kaiser gegen sie aufzuhetzen. Bismarck sei nicht da, um diesen Ein-
flüssen entgegenzuarbeiten. Manteuffel, der nichts zu tun habe, ein phan-
tastischer, ehrgeiziger Mann, arbeite daran, sich bei dieser Gelegenheit an
Bismarcks Stelle zu setzen. Das würde eine ungeheure Verwirrung her-
beiführen. Der Großherzog meint, daß eine Stellvertretung für Bismarck
notwendig sei. Auf meine Einwendung, daß ein verantwortliches Mini-
sterium denselben Dienst leisten würde, erwiderte er, daß Bismarck dies
selbst anordnen und einleiten müßte, und dazu sei er jetzt nicht in der
Lage. Er hält Bismarck für sehr krank.
Auch Bülow, den ich Abends bei Hofe traf, bestätigte, daß Bismarck
noch sehr krank sei.
Die Kaiserin sprach mir heute zum ersten Male von der Botschaft
und machte mir Vorwürfe, daß ich nicht mit ihr davon gesprochen hätte.
Ich sagte, daß ich das nicht gewagt hätte. Sie empfahl mir, möglichst
versöhnlich zu verfahren, und meinte, daß ich dazu geeignet sei, die Gegen-
sätze auszugleichen.
1) Oberbürgermeister von Breslau, Mitglied des Reichstags.