Im Reichstage (1870 bis 1874) 115
Sie erlauben mir aber wohl, Ihrer Beurteilung der Frage entgegen-
zutreten, daß Sie nicht die rechte Person für eine solche Stellvertretung
sein sollten. Es wäre unbescheiden, in die Begründung, welche Sie mir für
Ihre Anschauungen mitteilen, tiefer einzugehen. Ich möchte nur den einen
Gesichtspunkt hervorheben, der mich bei meinen Erwägungen geleitet hat.
Im Vordergrund aller Angelegenheiten, die das Reich bewegen, steht un-
zweifelhaft der Konflikt mit Rom. Diesen richtig zu führen, ist deshalb
auch die wichtigste Aufgabe; sie ist wichtiger als etwaige besondere Rede-
fähigkeit im Reichstage, ja, ich schlage sogar das Mehr-oder-weniger-
Vertrauen-besitzen in den verschiedenen Parteien weit geringer an, denn das
hängt doch meist vom Erfolge ab.
Sie, lieber Fürst, gehören zu den wenigen hervorragenden Perfön-
lichkeiten, welche sich eingehend mit den kirchlichen Angelegenheiten be-
schäftigt haben und zur rechten Zeit das rechte Wort sprachen, weil Sie
die ganze Bedeutung der drohenden Gefahren erkannten. Ihre Erfah-
rungen würden für die Interessen des Reichs von größtem Nutzen sein,
sowohl bei der Leitung der inneren Angelegenheiten als bei Behandlung
der auswärtigen Politik, welche wohl noch für längere Zeit durch die
kirchenpolitischen Fragen stark berührt bleiben wird. Ihr maßvolles Wesen
ist das, was uns besonders nottut, und somit das, was uns auf rechte
Bahn leiten und auf derselben erhalten würde. Unter solchen Voraus-
setzungen würde es Ihnen an Unterstützung nicht fehlen, und es entstünde
das, was so nötig ist, eine feste, gute, zuverlässige Regierungspartei,
welche, auf konservativer Grundlage ruhend, den Entwicklungsgang der
Reichsangelegenheiten in freisinnigen, aber festen Bahnen zu fördern im-
stande und gewillt ist.
Sie lenken meine Aufmerksamkeit auf Herrn von Forckenbeck als den
rechten Mann für eine etwaige Stellvertretung des Reichskanzlers und
glauben, daß er sich allmählich zum vollendeten Staatsmann heran-
bilden würde.
Ich kenne Herrn von Forckenbeck kaum und kann daher nicht beur-
teilen, ob er sich für eine solche Aufgabe eignen würde. Ihr Urteil ist
mir daher von größtem Interesse und von besonderem Wert, da Sie Ge-
legenheit hatten, gewichtige Erfahrungen über diesen Mann zu sammeln.
Je mehr Männer von unabhängiger Gesinnung und festem Charakter ge-
funden werden, desto mehr Hoffnung erweckt das für die Zukunft. Ob
aber die von Ihnen gerühmten Eigenschaften des Herrn von Forckenbeck
genügten, um die Aufgaben zu behandeln, von denen wir reden, das
möchte ich nicht unbedingt annehmen. Der leichte Verkehr in allen Kreisen
des öffentlichen und Geschäftslebens, also auch in diplomatischen Kreisen,
dürfte Forckenbeck abgehen, und das wäre ein Mangel, der sich schwer