124 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
Nachmittags bei Decazes zum Diplomatentag. Ich erledigte eine
Geschäftssache und ging bald wieder weg. Dort traf ich u. a. den
schweizerischen Gesandten Kern, der einen guten Eindruck macht.
Abends „Bouffes Parisiennes“, wo auch Fürst und Fürstin Metter-
nich waren.
Heute nach Versailles. Zuerst dort bei Buffet. Empfang im Schloß.
Wenig Leute. Admiral La Ronciere, der bedeutendste unter den französi-
schen Admiralen, ein liebenswürdiger alter Herr. Während wir zusammen
sprachen, kam ein junger schlanker Mann herein mit einem Begleiter, den
er Buffet vorstellte. Er trug ein blaues Band. Der Admiral hielt ihn
für einen Diplomaten. Es zeigte sich aber, daß es der Comte d'Eu war,
der Sohn des Herzogs von Nemours, der Schwiegersohn des Kaisers von
Brasilien. Er erinnert an die Koharysche Familie.
Dann zum Marschall. Dort war es ziemlich voll. Auch da war
schon der Comte d’'Eu. Ich sprach Broglie, Cissey, 1) den englischen
Militärattache, den Minister Cumont, ) der behauptete, der Sozialismus
sei ein Produkt der deutschen Philosophie. Er verstummte aber, als ich
ihm die französischen Sozialisten und Kommunisten von Babeuf bis Louis
Blanc zitierte. Die Räumlichkeiten der Präfektur sind sehr schön. Man
war sehr liebenswürdig für uns. Die Fahrt im Wagen nach Versailles
und zurück war sehr ermüdend.
An den Reichskanzler.
Paris, 30. Mai 1874.
Eure Durchlaucht haben vielleicht einen Artikel der Wiener „Presse“
gelesen, der mir die Aeußerung zuschreibt, „meines Bleibens in Paris
werde nur so lange sein, als mir eine gewisse Selbständigkeit verbleibe“.
Eure Durchlaucht kennen mich genügend, um überzeugt zu sein, daß es
mir nicht beifallen konnte, meinen Eintritt in den Reichsdienst mit der
Kundgebung eines gewissermaßen oppositionellen Programms zu begleiten.
Ich würde deshalb über diese wie über viele andre mich betreffende
Zeitungserfindungen stillschweigend hinweggegangen sein; der vorliegende
Artikel gerade dieses Blattes scheint aber in der Absicht geschrieben zu sein,
bei Eurer Durchlaucht Mißtrauen gegen mich zu erwecken. Zudem benutzt
er in perfider Weise eine von mir ausgesprochene Ansicht, die ich deshalb
richtigstellen muß. Ich erinnere mich, bei der Besprechung bekannter
Vorkommnisse in der Diplomatie des Deutschen Reichs, wenn ich nicht irre,
im Vorsaal des Reichstags die Aeußerung getan zu haben, ich könne nicht
verstehen, wie ein Vertreter des Reichs im Amte bleiben möge, der sich
1) Ministerpräsident und Kriegsminister.
2) Unterrichtsminister.