Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

128 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
Paris, 8. Juli 1874. 
Gestern sollte die Interpellation Lucien Bruns über die Unterdrückung 
der „Union“ 1) stattfinden. Als ich nach Versailles fuhr, sah ich, daß 
alles hinströmte, was sich ein Billett hatte verschaffen können. Auch die 
Abgeordneten waren zahlreich vertreten. Thiers erschien auch. Von der 
Bahn aus ging ich mit Chaudordy zu Fuß. Klindworth, ) dem ich be- 
gegnete, hielt mich auf, erzählte allerlei Neuigkeiten, behauptete, daß die 
Minister die „Union“ unterdrückt hätten, um auch ein Manifest, das von 
Chislehurst erwartet wurde, unterdrücken zu können, kam dann auf sein 
Lieblingsthema zu sprechen, daß die Großmächte die Familie Orleans ein- 
setzen und das Kaiserreich wie die Republik verhindern müßten, und hielt 
mich so lange auf, daß, als ich in den Sitzungssaal kam, alle Plätze besetzt 
waren und ich den mir zukommenden Sitz auf den ersten Bänken nur 
dann hätte einnehmen können, wenn ich eine unter den verschiedenen da- 
sitzenden Damen hätte aufstehen lassen. Das wollte ich nicht, und so ging 
ich in den Park, hörte eine Stunde der Musik zu und ging spazieren, und 
als ich um 5 Uhr wieder in die Assemblee kam, war die Interpellation 
noch gar nicht an der Reihe. Ich hatte also nichts versäumt. Auch 
wurde die Debatte auf heute verlegt, wo ich wieder hinfahren werde. Auf 
dem Rückweg kam ich in einen Waggon mit Chabaud-Latour und Chan- 
garnier. Beim Aussteigen traf ich Thiers, den ich begleitete. Es war merk- 
würdig zu sehen, mit welcher Freundlichkeit er vom Publikum begrüßt 
wurde. Der türkische Botschafter, den ich nachher sprach, behauptete, das 
sei gemacht und bestellt. Mir schien es ziemlich spontan zu sein. Uebrigens 
ging Thiers auf eine Unterhaltung über das Resultat der heutigen Debatte 
nicht ein. Er schien nicht sehr zufrieden über die günstigen Aussichten des 
Ministeriums. 
Ich aß mit Lindau und Holstein 3) im Café d'Orsay und beendete den 
Tag bei Musard, wo u. a. Beethovens „Adelaide“ sehr schön gespielt wurde. 
9. Juli. 
Gestern den ganzen Nachmittag mit Orlow, Apponyi und Lyons in der 
Nationalversammlung, wo Lucien Brun seine Interpellation begründete und 
Fourtou die Regierung verteidigte. 4) Abends mit Chaudordy und Kern zurück. 
  
1) In welcher am 2. Juli ein Manifest des Grafen Chambord erschienen war. 
2) Ein politischer Agent. 
3) Siehe Seite 33, damals Rat an der Botschaft. 
4) Die Tagesordnung Lucien Brun wurde gegen die Stimmen der äußersten 
Rechten abgelehnt, die der Regierung erwünschte Tagesordnung aber auch und die 
einfache Tagesordnung beschlossen. Das Ministerium reichte seine Entlassung ein, 
die der Marschall aber nicht annahm.
	        
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