Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

138 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
Berlin, 9. November 1874. 
Durch die Abwesenheit Bismarcks werde ich abgehalten abzureisen. 
Ich habe heute mit Forckenbeck gesprochen und ihm meine Befürchtungen 
mitgeteilt, daß Bismarck plötzlich einmal abgehen und daß der Kaiser ihn 
gehen lassen könnte. Forckenbeck ist mit mir einverstanden, daß es eine 
große Torheit wäre, sich einzubilden, daß es jetzt noch ohne Bismarck 
gehen werde, und wird seinerseits handeln und verhüten, daß ein Konflikt 
zwischen der Majorität und Bismarck ausbricht. In der Kirchenfrage 
erzählt Forckenbeck, daß sich in Schlesien die Dinge ziemlich friedlich an- 
lassen und glaubt an einen Modus vivendi. Doch meint er, daß man der 
ultramontanen Partei gegenüber sehr vorsichtig verfahren müsse. Wolle 
diese wirklich den Frieden, so sei für sie der geeignete und wenig kom- 
promittierende Weg der, daß Windthorst mit Migquel verhandle, da sie 
sich kennen und Miquel in die Sache sehr eingeweiht ist. Eine Verhand- 
lung mit den Bischöfen direkt hätte den Nachteil, daß die niedere Geistlich- 
keit in ihrer Befürchtung bestärkt werde, daß man sie schließlich im Stiche 
lassen und den Bischöfen à discrétion überantworten werde. 
Forckenbeck war mit mir einverstanden, daß eine Aenderung in der 
Person des Reichskanzlers den europäischen Frieden gefährde, weil es 
eine Schwäche Deutschlands offenkundig machen werde. Er versprach mir, 
in vorsichtiger Weise meine Notizen zu verwerten. 
10. November. 
Miquel behauptet, die Ultramontanen in Deutschland wünschten eine 
Verständigung mit der Regierung, weil sie einsehen, daß sie zu viel Boden 
in Deutschland verlieren. Windthorst und Reichensperger sind sehr un- 
zufrieden mit der päpstlichen Politik, d. h. den Eingebungen der Jesuiten, 
und sollen in diesem Sinne nach Rom schreiben. Windthorst wollte schon 
im vorigen Jahre zu Bismarck, der ihn aber nicht annahm, weil er glaubte, 
daß es noch nicht an der Zeit sei. Jetzt glauben die Ultramontanen, daß 
sie mit Bismarck überhaupt keine Verständigung erlangen werden. Migquel 
sagt, die Bischöfe von Osnabrück und Hildesheim hofften auf eine Ver- 
ständigung und vermieden deshalb jeden Konflikt. Wir sprachen dann von 
der Notwendigkeit der Abschaffung der Patronate und kamen überein, 
daß der Staat ablösen, die Lasten übernehmen und auch das Besetzungs- 
recht bekommen müsse. Keine Wahl der Gemeinden. 
Berlin, 12. November 1874. 
Lasker, mit dem ich gestern lange sprach, fing an von Bismarcks 
Gedanken des Rücktritts zu sprechen. Er hält es für Komödie. Bismarck 
sei eine zu dämonische Natur, um die Gewalt aus der Hand zu geben.
	        
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