Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 139 
Auf meine Bemerkung, daß mir die Sache wegen der Stimmung am Hof 
bedenklich scheine, meinte Lasker, das sei nicht zu fürchten. Im ent- 
scheidenden Augenblick werde man sich nicht dazu entschließen, Bismarck 
gehen zu lassen, da man keinen Ersatz für ihn habe. Strohmänner gebe 
es genug, welche glaubten, Bismarck ersetzen zu können, allein der Kaiser 
werde sich zweimal besinnen, ehe er einen solchen an Bismarcks Stelle setze. 
Es würde gut sein, wenn Bismarck etwas mehr an den Reichstags- 
angelegenheiten teilnähme. Aber man müsse ihn nehmen, wie er sei. 
Wenn Bismarck sich darüber beklage, daß er kein ihm homogenes preußisches 
Ministerium habe, so liege der Grund davon darin, daß er keinen Wider- 
spruch ertrage und nur Bureauchefs haben wolle. „Am liebsten wäre es 
ihm, wenn er Wagner zum Handelsminister machen könnte.“ Ich kann 
mir denken, daß Bismarck den kleinen durchtriebenen Juden haßt. Das 
ist mir wieder klar geworden, daß der Schwerpunkt der Politik in der 
nationalliberalen Partei liegt. Bismarck mag wollen oder nicht, er muß 
sich doch nach diesen Herren richten und durch sie vieles ausführen lassen, 
was er selbst nicht tun kann. 
Heute war die letzte Sitzung des Reichstags. Ich fragte Bismarck, 
wann ich ihn noch sprechen könne, und er lud mich auf 5 Uhr zum 
Diner ein. 
Beim Abschied hob er hervor, daß wir das größte Interesse hätten, 
den gegenwärtigen Status quo in Frankreich zu erhalten. Die Republik 
und sogar die röteste sei uns günstig. Die monarchische Gestaltung Frank- 
reichs mache dieses bündnisfähig und sei uns gefährlich. 
In der orientalischen Frage möge ich, sagte er, immer den Gesichts- 
punkt festhalten, daß wir kein direktes Interesse hätten. Wir könnten 
wohlwollend beiseite stehen und dafür Sorge tragen, daß Rußland und 
Oesterreich sich verständigen und dann ihre Interessen mitunterstützen. 
Diese Verständigung habe jetzt noch nicht stattgefunden. Oesterreich sei 
etwas zu weit gegangen. Er begreife, sagte Bismarck, nicht, wie Andrassy 
die Selbständigkeit Rumäniens begünstigen könne, da doch Ungarn so viele 
rumänische Elemente enthalte. Er könne aber nicht, wie Rußland wünsche, 
seinen Einfluß auf Oesterreich geltend machen, um es zu der Auffassung 
Rußlands zu bestimmen. Er hoffe indessen, daß Oesterreich und Rußland 
sich verständigen würden. Wäre dies der Fall, so würden wir uns ihnen 
anschließen. England sei in dieser Frage mit uns einverstanden, doch 
sei auf England kein Verlaß, da seine auswärtige Politik mit den 
Ministerien wechsle. 
Am Schluß sprach Bismarck die Hoffnung aus, mich während des 
Verlaufs der Session wieder hier zu sehen. Hätte ich etwas zu besprechen, so 
möge ich den Vorwand der Reichstagssession gebrauchen und hierherfahren.
	        
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