140 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
Paris, 27. Oktober 1874.
Bei meiner Unterredung mit Gelzer in Straßburg erzählte mir dieser,
daß Bismarck im vergangenen Frühjahr eine Depesche an Keudell gerichtet
hat, aus welcher eine gewisse Ungeduld hervorgeht, daß der Kirchenkonflikt
nicht zu Ende gehe. Er hat Keudell den Auftrag erteilt, im kurialistischen
Lager die Anschauung zu fördern, daß Rom am besten allein und mit
Bismarck selbst Frieden machen könne. Keudell wußte nicht, was er
damit anfangen sollte, und bat Gelzer, ihm dabei zu helfen. Dieser ver-
anlaßte nun auf Umwegen, daß Antonelli ihn rufen ließ, und hatte mit
diesem ein längeres Gespräch, das aber zu keinem Ziele führte. Gelzer
bemühte sich, Antonelli nachzuweisen, daß der Kirchenkonflikt der Kirche
schade, und dieser dagegen bewies Gelzer, daß der Staat darunter Schaden
leide. Gelzer ging weg ohne Resultat und ließ Antonelli etwas erstaunt
zurück, der von Gelzer mehr erwartet hatte. Ich gab Gelzer recht, daß
er sich so reserviert gehalten, und riet ihm, im Verlaufe des Winters nach
Berlin zu gehen und zu versuchen, ob er nicht die dortigen Ultramontanen
zu entgegenkommenden Schritten bestimmen könne.
Gelzer sprach auch von der Befürchtung, daß Bismarck den Krieg
wolle. Er hatte mit dem Großherzog gesprochen und dort den Eindruck
erhalten, daß dieser die Befürchtung teile. Ferner berief er sich auf Russell.
Ich redete ihm das aus und machte ihn darauf aufmerksam, daß die eng-
lischen Diplomaten alle systematisch aus Haß gegen Bismarck in diese
Lärmtrompete stoßen.
Paris, 19. Dezember 1874.
Bei dem gestrigen offiziellen Empfang in der Botschaft kam zum
großen Erstaunen aller auch Herr Thiers mit seiner Frau. Wir unter-
hielten uns längere Zeit, und Herr Thiers kam sogleich auf die Arnimsche
Sache. Er verhehlte nicht sein Mißfallen über Arnims Benehmen und
sagte: „Ich habe alles getan, um Arnims Stellung in Paris zu ver-
bessern. Ich weiß aber sehr wohl, warum er gegen mich aufgebracht war.
Hinter ihm standen einige Bankiers, die gewünscht hätten, die Anleihen
für sich auszubeuten. Ich konnte darauf nicht eingehen, da ich jedem die
Teilnahme daran offenhalten wollte. Das hat diese Bankiers geärgert,
und diese haben Arnim aufgehetzt.“ Wir sprachen dann von der Ver-
öffentlichung der Dokumente, und ich gab ihm die schon in meinem Be-
richte niedergelegten Gründe an, daß die Papiere bekannt waren, daß sie
sich in den Händen verdächtiger Individuen befunden hatten und daß
Fürst Bismarck jeden Augenblick auf eine Reihe von Jahren hinaus Ent-
hüllungen ausgesetzt gewesen wäre, die einen ganz andern Eindruck ge-
macht haben würden als die offene Darlegung der ganzen Sache vor
Gericht. Das schien Thiers einzuleuchten.