144 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
ich ihn fragte, was er nun erwarte, meinte er, es bleibe nichts andres
als die Auflösung, und es werde die Aufgabe der Regierung sein, diese
nicht zu hindern, wenn, wie es den Anschein habe, die Parteien selbst
einsähen, daß sie die Auflösung beschließen müßten. In der Zwischenzeit
werde man suchen, die Wahlen par arrondissement einzuführen und die
Wahlen par scrutin de liste abzuschaffen. Auf diese Weise, hoffe er,
werde man eine konservative Versammlung bekommen, in der wohl her-
vorragende Persönlichkeiten fehlen würden, wie z. B. der Duc de Broglie.
Als ich erstaunt aufsah, sagte er: „C'est au moins D’avis de tous les
préfets.“ Er erörterte die Frage nach der Wirkung der Wahl par
arrondissement noch eingehender. Schließlich fragte ich ihn, was der
Marschall mache und ob er zu Hause sei, dann würde ich ihm meinen
Besuch machen, worauf er mich zu dem Marschall führen ließ. Diesen
fand ich sehr heiter. Ich leitete meine Unterredung ein, indem ich sagte,
die Gerüchte von entscheidenden Entschlüssen, die er zu fassen im Begriff
sei, hätten mich lebhaft beunruhigt. Er erwiderte, man habe das sehr
übertrieben. Es sei kein Grund da, jetzt abzugehen: „Je reste.“ Dar-
auf kamen wir auf die Situation im allgemeinen. Ich fand ungefähr
die gleichen Räsonnements wie beim Vicomte d'Harcourt. Die konstitu-
tionellen Gesetze, sagte der Marschall, würden unzweifelhaft verworfen
werden. Das lasse sich nicht ändern. Allein er hoffe, daß man die Ver-
sammlung zur Annahme andrer Gesetze bestimmen werde, so der Aende-
rung des Wahlgesetzes, des Rechts der Auflösung für den Präsidenten
und eines suspensiven Vetos. „Et la question du ministere?“ fragte
ich. Diese werde man, antwortete der Marschall, nach der Verwerfung
der konstitutionellen Gesetze in Angriff nehmen. Challemel-Lacour werde
abgehen. Er sei ihm dankbar, daß er das Amt so lange geführt habe,
man könne ihn aber nicht länger halten, da er zu kränklich sei. Fourtou
sei ein guter Minister des Innern; er sei nicht Bonapartist, wie man
ihm vorwerfe, aber ein energischer Mann. Nun brachte ich meine Bemer-
kung bezüglich Decazes' an. Hier erklärte der Marschall mit großer Ent-
schiedenheit, daß er ihn halten werde.
Damit wußte ich, was ich wissen wollte, und zog mich nach einigen
unbedeutenden Bemerkungen zurück.
Paris, 23. Januar 1875.
Heute Abend Soiree bei der Fürstin Trubetzkoy. Auch diesmal
wieder eine Sammlung von Merkwürdigkeiten und Berühmtheiten. Die
Fürstin stellte mir Lachaud, den Verteidiger Bazaines, vor und zugleich
Mazade. Mit beiden längeres Gespräch, zuerst über Jules Favre. Von
ihm erzählte Lachaud folgenden charakteristischen Zug. Der Anlaß, daß