Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 145 
Favre seine unehelichen Kinder als eheliche eintragen ließ, war seine älteste 
Tochter. Als sein zweites Kind geboren wurde, wollte Favre eben zu 
dem Zivilstandsbeamten gehen, um die Geburt des Kindes anzuzeigen. 
Die älteste Tochter hörte dies und rief: „Papa, je veux aller avec toi 
pour faire inscrire mon petit frère.“ Als Favre nun zu dem Bureau 
kam, fragte, wie üblich, der Beamte: „Vous êtes maric?“ Da rief das 
Töchterchen: „Comment, papa, on demande si tu es mariéo’“ Da 
hatte Favre nicht den Mut, nein zu sagen, und so wurde das neu- 
geborene und die späteren als eheliche Kinder eingetragen, während das 
alteste Kind richtig eingetragen war. Lachaud sagt, Favre sei ein liebens- 
würdiger Mann, aber schwach, besonders gegen unwürdige Freunde. Wir 
kamen dann auf die Wahlen, den Scrutin de liste und den Scrutin par 
arrondissement. Der letztere finde so viele Gegner, weil die Wahl eines 
einzelnen Deputierten zu viel koste. Eine Wahlmanipulation erfordere 
immer 30 000 bis 40 000 Franken. Während wir sprachen, kam die Fürstin 
Trubetzkoy und stellte mir la Gueronnière!) vor. Ein großer Mann mit 
weißem Haar und einem Schnurrbart. Wir sprachen von der italienischen 
Frage. Er erzählte, daß der Kaiser den Gedanken gehabt habe, eine 
italienische Konföderation mit dem Papste an der Spitze zu bilden. Wenn 
Rom und die klerikale Partei in Frankreich nicht dagegen gearbeitet hätte, 
würde die Sache gelungen sein. Cavour hätte sich fügen müssen. Eine 
klerikale Partei gebe es jetzt in Frankreich nicht. Auf meinen Einruf: 
„Veuillot!“ erwiderte er: „Veuillot n'est qu'une individualité.“ 
Mit Raoul Duval, dem bekannten imperialistischen Abgeordneten, 
sprach ich über die Situation. Er behauptet, daß die Orleans keinen 
Anhang hätten. Die Franzosen wollten keine Aristokraten. „Nous ne 
nous soucions pas de la liberté mais seulement de l’égalité.“ Das 
Kaiserreich war demokratisch und hielt die Autorität aufrecht, das ent- 
spricht dem französischen Charakter. Ich lernte in Raoul Duval einen 
entschiedenen, energischen Imperialisten kennen. Später kam noch Emile 
Girardin. 
An den Reichskanzler. 
Paris, 10. Februar 1875.2) 
Eure Durchlaucht wollen mir gestatten, mich über eine mir dienstlich 
fernliegende, aber begreiflicherweise persönlich nahestehende Frage, die bay- 
rischen Verhältnisse betreffend, vertraulich zu äußern. Der Minister Fäustle 
  
1) Vor dem Kriege französischer Gesandter in Brüssel. 
2) Dieses Schreiben war veranlaßt durch einen Brief des Ministers Dr. Fäustle 
vom 6. Februar, in welchem die herannahende Gefahr eines ultramontanen Mini- 
steriums in Bayern besprochen wurde. 
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. II 10
	        
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