Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 159
Eindruck, den meine Auseinandersetzung machte, war der großer Ueber—
raschung und zugleich der Ueberzeugung, daß etwas geschehen müsse. Decazes
wird sein möglichstes tun, um unsre Wünsche zu befriedigen.
Paris, 23. Mai 1875.
Decazes, den ich heute besuchte, teilte mir mit, daß ein in Limoges
erscheinendes Blatt niedriger Gattung ein Gespräch zwischen dem Kaiser,
Bismarck und Moltke gebracht habe, welches injuriösen Inhalts sei. Er
sagt, da dort nicht der Belagerungszustand bestehe, könne man nicht da-
gegen einschreiten, ohne daß wir dazu Veranlassung gäben. Doch sei das
Parkett insoweit vorgegangen, daß es dem Blatt auf einige Zeit den
Straßenverkauf untersagt habe. Ich erwiderte, daß das Blatt zu wenig
gelesen sei und ich es daher für das beste hielte, nichts weiter zu tun.
Dann kamen wir wieder auf Gontaut. Er hofft, daß Leflö von
Petersburg bald abgehen und dann Gontaut dorthin gehen könne.
Paris, 29. Mai 1875.
Gestern kam Herr Thiers zu mir. Er fand, daß es in meinem Salon
zu kalt sei und ließ sich seinen Paletot kommen. Dann setzte er sich und
sagte: „Eh bien, nous voild dans une crise. ) Du reste“ setzte er
hinzu, „ce ne sera rien.“ Ich erzählte ihm nun von den Gerüchten
eines Staatsstreichs, den der Marschall beabsichtige, worüber er lachte
und sagte: „Tout cela sont des bétises.“ Ich konnte das nur bestätigen,
erlaubte mir aber einzuwerfen, daß die ultramontane Partei allen Grund
habe, sich gegen den Sieg der Republik, die sie mit der Revolution
identisch halte, zu wehren. Thiers meinte, die ultramontane Partei sei
erschreckt und habe keinen Mut, etwas Außerordentliches zu unternehmen.
Der angebliche Staatsstreich sei eine gefährliche Sache für die, welche ihn
unternehmen. Die gegenwärtige Lage sei der Ungeschicklichkeit Buffets
zuzuschreiben. Dieser sei ein „entöté, un sot politiqgue. Dieu me garde
de dire qu’il soit un sot, mais on peut étre un homme T’esprit et
un sot en politique et Buffet en est un.“ Buffet sei durch seine Un-
geschicklichkeit am 4. September schuld. Er schilderte dann die Tage des
3. und 4. September mit großer Lebhaftigkeit. „Damals kam man zu mir,
um mich im Namen der Kaiserin zu bitten, die Leitung der Geschäfte zu
übernehmen. Ich ließ der Kaiserin sagen, ich könnte ihr nicht helfen.
Ich hatte keine besondere Achtung vor diesem Hofe, aber ich würde sie
gerettet haben, wenn ich die Macht dazu gehabt hätte. Ich hatte sie aber
1) Infolge der Verhandlungen über das Wahlgesetz. Die Regierung verlangte
den Scrutin d'arrondissement, die vereinigte Linke den Scrutin de liste.