182 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
finden, der bestimmt darauf rechne, Präsident des Senats zu werden und
der deshalb auch dem rechten Zentrum gegenüber bei der Senatorenwahl
die etwas zweifelhafte Rolle gespielt habe, um sich mit so großer Majorität
wählen zu lassen.
Was die Art betrifft, wie Decazes das obenerwähnte Telegramm
verwerten will, so sagte er mir, er werde sich in einer heute stattfindenden
Wählerversammlung interpellieren lassen, wie es mit dem Pferdeausfuhr-
verbot stehe; dann werde er seine Bereitwilligkeit erklären, Schritte zu
tun. Wenn dann die Aufhebung kommt, kann er sich damit großtun.
Paris, 6. Februar 1876.
Gestern Abend bei Fürstin Urussow. Es waren da Tscherkersky,
Joukowsky junior und Turgenjew. Dieser erzählte u. a. von Victor Hugo,
den er öfters besucht. Er sagt, Victor Hugo sei außerordentlich höflich
und liebenswürdig als Hausherr, er lebt hier in einer gemieteten Wohnung,
ist reich, aber sparsam. Turgenjew hat neulich mit ihm über Goethe ge-
sprochen, wobei allerlei Abenteuerliches zutage kam. Unter anderm schrieb
Victor Hugo „Wallenstein“ Goethe zu. Er haßt Goethe und ging darin so
weit, daß er sagte: „Personne wWignore due c'est Ancillon qui a ecrit
les „Wahlverwandtschaften“ et pas Geethe.“ Turgenjew erzählte von
der Exklusivität der französischen Literaten höheren Ranges, wie Flaubert
und Daudet, die von weniger gut schreibenden Autoren wie Arsene Houssaye
und Alexandre Dumas nichts wissen wollen. Turgenjew sprach dann
von den Radierungen von Goya, die anfangs dieses Jahrhunderts er-
schienen sind. In der Schilderung der einzelnen Bilder entwickelte er sein
bekanntes Talent. Dann las er uns einige Poesien einer Madame Ackerman
vor, die ungefähr auf dem Standpunkt Schopenhauers steht und Gott
und die Welt verflucht. Turgenjew hat etwas von der Suffisance eines
berühmten Autors, aber doch in einem sehr geringen und nicht unange-
nehmen Grade. Er ist dabei liebenswürdig und natürlich.
7. Februar.
Die Fürstin Trubetzkoy sagte mir gestern Abend, Thiers sei sehr
betrübt, daß ich ihn nicht encouragiert hätte, die Präsidentschaft des
Senats anzunehmen. Geschehe dies, so werde der Marschall sich nicht
halten lassen und abgehen. Und Thiers sei doch diese Satisfaktion zu
gönnen. Um mich für Thiers günstig zu stimmen, sagte sie: „Thiers se
désiste de Télection de Decazes.“ Es sollte also augenscheinlich ein
Geschäft sein. Ich soll die Präsidentschaft von Thiers im Senat fördern,
und dafür soll Decazes gewählt werden. Ich hielt mich reserviert.