Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

192 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
Der Großfürst war sehr liebenswürdig gegen mich, ebenso die Groß- 
fürstin. Die Marschallin desgleichen. Das Ueberreiten des Publikums 
habe ich zufällig mit meinem Fernrohr genau mitangesehen. Es sah 
merkwürdig aus, wie die Leute durch die Rennpferde umgeworfen wurden. 
Paris, 14. Juni 1876. 
Bei Thiers Abends mit Lyons und Molins. Thiers erzählte, daß er 
zufällig erfahren habe, es würde ein Antrag vorbereitet, die Dienstzeit 
von fünf auf drei Jahre herabzusetzen. Der Antrag, welcher zirkuliert 
hatte, war schon von vielen Abgeordneten unterschrieben, als Thiers davon 
Kenntnis erhielt, der dann sofort „usant des privilèges du vieillard“ 
den Abgeordneten eine große Szene machte. Dies hatte zur Folge, daß 
die Unterzeichner sich teilweise der Abstimmung enthielten. Gambettas 
Rede war von Thiers veranlaßt, der damit sehr zufrieden war.) 
16. Juni. 
Gestern auf der Revue. Ich wollte erst nicht hingehen und hatte 
Decazes den Abend vorher den Grund gesagt, der darin bestand, daß wir 
Botschafter keine Einladung in die Tribüne des Marschalls erhalten hatten. 
Keiner der Botschafter wäre gegangen. Meine Aeußerung veranlaßte 
Decazes, die Dummheit des Herrn Mollard wieder gutzumachen. Ich 
bekam die Karte wie alle Botschafter um 2 Uhr, so daß ich gerade noch 
hinausfahren konnte. Ganz Paris war auf den Beinen, „pour assister 
à ce spectacle de la grandeur militaire de la nation française“. 
Ich fand, daß die Infanterie vorbeibummelte, die Kavallerie, wie gewöhnlich, 
statt im Trab zu defilieren, Schwärmattacken machte, und habe überhaupt 
gefunden, daß die Armee keinen besseren Eindruck machte als vor zwei 
Jahren. Daß der Großfürst Michael neben dem Marschall nicht in Uni- 
form erschien, kränkte die Pariser tief. An diesem Tage verwünschten viele 
Pariser die Republik. 
Eben stürzt Beckmann herein und meldet die Ermordung der türkischen 
Minister.:) 
Paris, 18. Juni 1876. 
In der Loge der Fürstin Trubetzkoy fand ich gestern Grammont und 
M. de Faverney. Ersterer sprach seine Entrüstung aus, daß „wir in 
Frankreich unter der Herrschaft der Lüge leben“. Man habe die Republik 
dem Namen nach, im Wesen sei es eine Monarchie, in der die Orleanisten 
  
1) Gambetta sprach am 12. Juni gegen die Herabsetzung der Dienstzeit. 
2) Der Kriegsminister und der Minister des Aeußern wurden am 15. Juni 
im versammelten Ministerrat ermordet, der Marineminister verwundet.
	        
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