Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 201
ihn so höflich behandelte wie in den Tuilerien, beruhigte er sich. Der
Kaiser wünschte nicht in die Stadt Donchêèry zu fahren, weil da viele
französische Gesangene waren und er schon, wie Bismarck erfahren hatte,
von seinen Leuten insultiert worden war. Während sie weiterfuhren,
bemerkte der Kaiser ein einsam stehendes Arbeiterhaus und bat, dorthin zu
fahren. Das tat Bismarck und führte den Kaiser dorthin. Beide gingen
in den ersten Stock, wo sie einen Tisch und zwei Stühle fanden. Bis-
marck fragte den Kaiser, was er tun wolle, ob er über den Frieden ver-
handeln wolle. Der Kaiser lehnte das ab und sagte, er sei Gefangener
und könne nicht verhandeln. Auf Bismarcks Frage, mit wem er unter-
handeln solle, antwortete der Kaiser: „Avec le gouvernement à Paris.“
„Also,“ sagte der Kanzler, „avec S. M. PImpératrice. Croyez-vous
due cela durera?“ Ueber diese Frage wunderte sich der Kaiser, da er
nicht an einen Umsturz glaubte. Nun sagte Bismarck, da er nur berechtigt
sei, über den Frieden zu verhandeln und die Verabredungen betreffend
den Waffenstillstand die Generale angingen, so habe er nichts mehr zu
sagen. Sie sprachen dann über andre Dinge. „Das war die unan-
genehmste Situation,“ sagte Bismarck, „da es so schwer war, von der
Vergangenheit zu sprechen, ohne sich unangenehme Dinge zu sagen."“
Unterdessen meldete jemand, daß ein Schloß Bellevue in der Nähe sei,
wo der Kaiser gut wohnen könne. Dahin fuhr nun der Kaiser. Bismarck
ritt voraus. Dann fuhr Bismarck zum Könige und veranlaßte diesen,
den Kaiser Napoleon nicht zu sich zu rufen, sondern selbst zu ihm zu
reiten, wozu sich der König nach einigem Zögern entschloß.
Die ganze Geschichte hat das Generalstabswerk übergangen, weil die
Generale neidisch sind, daß Napoleon Bismarck und nicht einen General
hatte rufen lassen.
Nachher kam Herbert Bismarck und brachte ein dechiffriertes Tele-
gramm von heute, in welchem von London gemeldet wird, daß die Russen
in Wien vorschlagen, Oesterreich solle Bosnien und Rußland Bulgarien
besetzen, wenn die Türken die Friedensbedingungen nicht annehmen. Derby
ist darüber beunruhigt. Bismarck hält es für das beste, wenn Oesterreich
zustimmt. Die Türken würden am Ende doch nachgeben und dann sei der
russische Vorschlag ein Schlag ins Wasser. Bismarck skizzierte die deutsche
Politik, daß wir die Sachen gehen lassen können. Wenn Rußland die
Türken angreife, könnten wir zusehen. Was wir tun, wenn Rußland
und Oesterreich in Krieg geraten, darüber brauchen wir uns noch
nicht schlüssig zu machen. Rußland gegenüber handeln wir, wie Rußland
uns gegenüber gehandelt hat. Fürstin Trubetzkoy soll ich sagen, daß
Bismarck keine Zeit zu Korrespondenzen hat und sie außerdem als seine
Feindin ansieht, da sie die Freundin seiner Feinde ist.