Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 205 
frage au sérieux. Decazes hat ihm gesagt: „Tout cela ne m’'intöresse 
pas et si on nous propose duelque énormité, je F’accepte, pourvu qu’elle 
soit Egalement acceptée par la Russie et IAngleterre. Je veux empe- 
cher la guerre. Tout le reste m'est égal.“ Diese Anschauung wird auch 
von Chaudordy geteilt, der, wie Decazes sagt, ein kluger, vorsichtiger Mann 
ist. Ohne Zweifel ist Gambetta bei der Wahl Chaudordys mit im Spiel. 
Paris, 19. November 1876. 
Herr Thiers, der mich heute besuchte, zeigte sich über die Lage 
sehr beunruhigt. Er äußerte sein Erstaunen über die russische Politik, 
indem er sagte: „Wenn ich russischer Minister wäre, würde ich mich dem 
Kaiser zu Füßen werfen und ihn beschwören, Frieden zu halten.“ Rußland 
verkenne die Macht Englands, ein Lieblingsthema des Herrn Thiers. 
Wenn auch Rußland der Türkei gewachsen sei, so werde doch England 
genötigt sein, ihm entgegenzutreten. Daß Rußland erkläre, nicht nach 
Konstantinopel gehen zu wollen, sei lächerlich. Wer könne dafür stehen, 
wohin es im Verlauf eines siegreichen Feldzugs geführt werde! Wahn- 
sinn aber sei es von Rußland, wenn es den Krieg anfange, ohne unfrer 
Neutralität ganz sicher zu sein. Ich hatte keine Veranlassung, über die 
deutsche Politik gegenüber Rußland meine Ansicht auszusprechen. Herr 
Thiers fuhr dann nach einer Pause fort: „Mir scheint, daß die deutsche 
Regierung sich nicht äußert, weil sie in Verlegenheit ist. Ich kann nicht 
glauben, daß Sie ein Interesse dabei haben, Oesterreich zugrunde gehen 
zu lassen. Sie haben aber auch keine Lust, feindlich gegen Rußland auf- 
zutreten. Ihre Regierung schweigt und tut wohl daran."“ 
Im Laufe der Konversation kam er auch auf die Frage der Donau- 
mündungen und sagte: „Es kann Ihnen doch nicht gleichgültig sein, wer 
die Donaumündungen besitzt und daß Rußland die europäische Türkei 
beherrsche.“ Ich erwiderte, daß davon zunächst noch keine Rede sei. Aber 
ich mußte ihm gestehen, daß mir die Frage der Donaumündungen, die, 
wie Thiers hervorgehoben hatte, in Süddeutschland ventiliert wird, unver- 
ständlich sei. Vom handelspolitischen Gesichtspunkte schiene es mir gleich- 
gültig, ob Rußland, Rumänien, Oesterreich oder die Türkei die Donau- 
mündungen hätte. Unser Handel werde diesen Weg benutzen, wer auch 
der Herr der Donaumündungen sei. Vom politischen Gesichtspunkt könne 
ich die Ausdehnung Rußlands nach den südslawischen Ländern nicht als 
ein so großes Unglück betrachten, denn die Russen selbst sehen in dem 
Besitz von Konstantinopel den Keim ihres Untergangs. Herr Thiers er- 
widerte, darin möge etwas Wahres liegen. Aber ich vergäße, daß große 
Reiche in der Zeit der Eisenbahnen und Telegraphen größere Dauer ver- 
sprächen als früher. Man könne jetzt mittels des Telegraphen Rußland
	        
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