Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 209 
sein, um seine Stellung in Europa zu erhalten, aber von Krieg sei keine 
Rede. „Wo sehen Sie jemand, der Krieg will? Ist in Frankreich eine 
Kriegspartei? Der Marschall will nur an seiner Stelle bleiben. An 
etwas andres denkt er nicht. Gambetta will sich für die Präsidentschaft 
bereit halten. Ich denke nicht an Krieg.“ Nach Herrn Thiers ist Frank- 
reich in diesen drei Personen konzentriert. Auch sei Frankreich nicht fertig. 
Die Nachahmung der deutschen Wehrverfassung sei eine Sottise. Diese 
passe nicht für Frankreich, das keinen militärischen Adel habe wie Preußen. 
Paris, 8. März 1877. 
Die Anwesenheit des Generals Ignatiewt) beschäftigt alle Welt. 
Jedermann spitzt die Ohren. Wimpffen hat erfahren, daß Ignatiew mit 
dem Entwurf eines Protokolls ankomme, das die Mächte unterzeichnen 
sollen und das dann Rußland die Möglichkeit gewähren soll, den Krieg 
zu unterlassen. 
Heute kam die Fürstin Urussow und schlug mir vor, um 5 Uhr zu 
ihr zu kommen und dort ihren Vetter Ignatiew zu treffen. Ich ging um 
die bezeichnete Stunde hin. Ignatiew war schon da. Sein Aeußeres ist 
frappant. Ein breites Gesicht, starkes Kinn und stets heiterer Mund. 
Er kam auf Berlin zu sprechen und erzählte von Bismarck. Mit einer 
gewissen Selbstzufriedenheit hob er die Aehnlichkeiten in Charakter und 
Gewohnheiten hervor, die er mit Bismarck habe, und erklärte sich als 
„son élève“, wenn auch unter Beteurungen der Bescheidenheit. Bescheiden 
ist er nun nicht, aber ein ganz bedeutender Kerl, der auch nicht nötig hat, 
bescheiden zu sein. Er ist einer, aus dem Reichskanzler gemacht werden. 
Rücksichtslos im Aussprechen seiner Gedanken und dabei doch klug und 
falsch. Er kam auch auf Chaudordy zu sprechen. Er habe ihn, sagt er, 
bei Bismarck verteidigt. „C'’est un homme superficiel mais amusant.“ 
Von hier sagt er, daß er große Aengstlichkeit gefunden habe bezüglich 
Deutschlands. Die Indiskretionen Ignatiews über den Verdacht Bismarcks, 
daß Frankreich gegen Deutschland rüste, haben den Duc Decazes sehr 
erschreckt. Dieser beteuert, daß Frankreich nicht an Krieg denke. Auch 
die Kavallerieansammlungen an der deutschen Grenze sind zur Sprache 
gekommen. Ich sagte Ignatiew, daß Gontaut die eigentliche Ursache der 
übeln Laune des Reichskanzlers sei, was er begriff. Er tadelt Decazes, 
daß er Gontaut nicht abberuft. 
Ueber die orientalische Frage sprach er sich sehr rückhaltlos aus. 
Die Türkei werde bei dem ersten Choc zusammenfallen. Daraus würden 
  
1) Der im Auftrage der russischen Regierung nach Wien, Berlin, Paris und 
London reiste. 
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. II 14
	        
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