Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 213 
hatte das Gerücht kursiert, daß ich an die Stelle Bismarcks berufen sei, 
und die Baronin Gustav Rothschild brachte es in den Salon Molins. 
Heute hat auch der „Figaro“ davon gesprochen, und ich ging deshalb in das 
Auswärtige Amt, um zu veranlassen, daß man in den Zeitungen dem 
entgegentrete. Das ist auch geschehen. 
Abends ging ich zu Thiers. Er fragte mich aus, und ich antwortete, 
was mir zweckmäßig schien. Als ich ihm erzählte, daß Feldmarschall 
Manteuffel Herrn Thiers zum Kriegsminister wünsche, lachte er sehr, war 
aber geschmeichelt. Von Bismarcks Rücktritt war er nicht sehr affiziert. 
Er glaubt nicht daran. Bezüglich der orientalischen Frage war er beruhigter 
als sonst. Er glaubt, daß man jetzt zum Frieden kommen werde. Bapst, 
der Eigentümer des „Journal des Débats“ ist nicht der gleichen Ansicht. 
Er meint, die Russen warten nur das schöne Wetter ab, um los- 
zuschlagen. 
Paris, 11. April 1877. 
Als ich heute Nachmittag Decazes besuchte, der von Cannes zurück- 
gekommen ist, traf ich dort Fürst Orlow. Dieser war in sehr deprimierter 
Stimmung und sagte, er sehe keinen Ausweg für Rußland als den Krieg. 
Decazes war derselben Ansicht. Als Orlow weg war, sprach er noch 
längere Zeit mit mir über die Lage. Decazes sieht für Rußland keinen 
Vorteil in dem Krieg. Rußland habe ein Interesse daran, den Ausweg 
vom Schwarzen Meer zum Mittelmeer offen zu erhalten. Der Krieg 
werde nur dazu führen, daß England die Dardanellen besetze. Dieselbe 
Ansicht hat auch Herr Thiers wiederholt ausgesprochen. Schließlich sagte 
Decazes, wenn wirklich der Krieg ausbreche, so sei es die Aufgabe Deutsch- 
lands und Frankreichs, durch gemeinsame Tätigkeit und die vereinte Kraft 
ihres Einflusses den Frieden in Europa zu erhalten und den Krieg zu 
lokalisieren. „Tous les conseils due vous me donnerez à ce sujet, 
e les accepterai avec la plus grande confiance et je m'empresserai 
àa m'y conformer.“ 
Nachher erzählte er mir seine Unterredung in Cannes mit einem 
italienischen Geistlichen. Der Papst sei sehr schwach, und sein Zustand 
lasse erwarten, daß er noch diesen Sommer sterben werde. 
Decazes sagte mir noch, Alphonse Rothschild, der eben von Wien zurück- 
kam, habe mit Andrässy wegen eines Anlehens verhandelt und dabei habe 
ihm Andrässy gesagt, die Russen möchten Krieg führen oder nicht, ein- 
rücken oder nicht einrücken, Oesterreich werde sich nicht rühren: „Nous ne 
bougerons pas.“ Den Gedanken eines Einrückens der Oesterreicher in 
Bosnien hält Decazes nicht für wahrscheinlich, da dann Oesterreich ent- 
weder mit der Türkei oder gegen diese Krieg führen müßte. Auch bemerkte
	        
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