Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 215
Paris, 30. April 1877.
Decazes, den ich heute Abend besuchte, las mir seine Erklärung vor,
die er morgen in der Abgeordnetenkammer lesen will, und fragte mich,
was ich davon hielte. Ich fand sie friedlich und taktvoll gehalten und
sagte ihm das. Dann zeigte er mir eine Stelle im Gelbbuch, das auch
morgen verteilt werden wird, worin einer Aeußerung des Kaisers an
Gontaut Erwähnung getan wird.
Was ihn beunruhigt, ist die Aufregung in England, wo man „affolé“
sei und allerlei Schreckliches erwarte, und die Lust Italiens, „de pêcher
dans Peau trouble“.
Molins war bei mir und erzählte mir die Geschichte des Grafen von
Paris mit Don Carlos. Die Mitglieder des „Comité des Concours
hippiques“ haben zuerst den Duc de Nemours mit Don Carlos zusammen-
gebracht, und dann hat Don Carlos den Duc de Nemours gebeten, ihn
dem Grafen und der Gräfin von Paris, die eben weggehen wollten, vo#r-
zustellen, was auch geschah. Der Graf von Paris war bei Molins und
hat ihm die Sache expliziert. Molins behauptet, dem Grafen von Paris
gesagt zu haben, er schade sich dadurch in Frankreich.
Khadil Pascha war bei mir. Ich sagte ihm meine Meinung über
die Ablehnung unsers Protektorats über die russischen Untertanen in der
Türkei. Das erschreckte ihn etwas.
Paris, 16. Mai 1877.
Die Ministerkrisis war schon seit längerer Zeit vorbereitet. ) Die
Stellung des Ministeriums versprach keine Dauer. Es trug schon den
Keim des Zerfalls in sich. Die Majorität hatte es in der Kammer nur
dann, wenn Gambetta sie ihm gewährte. Mit Jules Simon und Martel
hatte das Ministerium Elemente der Linken, die allen Wünschen der Linken
zustimmten, ohne daß das Ministerium dagegen das nötige Ansehen der
Kammer gegenüber geltend machen konnte. Dazu kam, daß man dem
Marschall in den Ohren lag, daß das Ministerium zu weit gehe, ohne
daß es die Majorität für sich habe. In dem Gesetz über die Munizipal-
verfassung hatte Simon dem Marschall versprochen, die Bestimmungen
wegen der Permanenz und wegen der Oeffentlichkeit der Sitzungen zu
hintertreiben. Statt dessen tat er nichts dagegen. Bei dem Preßgesetz-
entwurf hatten er und Martel im Ministerrat zugesagt, daß sie gegen das
ganze Gesetz und insbesondere gegen den Artikel sprechen würden, der die
1) Am 16. Mai richtete Mac Mahon ein Schreiben an Jules Simon, welches
das ganze Kabinett veranlaßte, zu demissionieren. Am 18. Mai wurde das reaktionäre
Ministerium Broglie-Fourtou gebildet. Der Duc Decazes blieb auf Drängen des
Marschalls in dem neuen Ministerium.