222 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
betonte ganz besonders seinen Abscheu vor Gambetta, der jedenfalls, wenn
er Präsident werden sollte, Krieg mit Deutschland anfangen würde, und
erging sich überhaupt in Betrachtungen, die man sonst in den Organen
des Elysée und des Duc de Broglie zu lesen gewohnt ist. Er beklagte
die Ausschreitungen der deutschen Presse, selbst der offiziösen, gegen die
französische Regierung und gab der Befürchtung Ausdruck, solche fort-
dauernden Nadelstiche könnten mit der Zeit die Geduld der Franzosen
ermüden und ihnen Grund zu einem Kriege mit Deutschland geben, wo
dann das Unrecht auf unfrer Seite sein werde. Ich erlaubte mir, dieser
Befürchtung entgegenzutreten. Ferner bemerkte ich unter anderm, ich könne
nicht glauben, daß die Republik Gambettas den Krieg gegen Deutschland
unternehmen werde. Zum Krieg gehöre innere Kraft und Einigkeit und
Allianzen. Gambetta werde genötigt sein, den Kampf mit der klerikalen
Partei aufzunehmen, und werde dadurch einen Konflikt hervorrufen, der
viel weiter greifen werde als unser Kulturkampf. Er werde im Innern
zu viel zu tun finden, um an Krieg mit uns auch nur zu denken. Mit
Gambetta werde schwerlich eine fremde Macht eine Allianz gegen uns ein-
gehen u. s. w. Der Kaiser hörte meinen Ausführungen aufmerksam zu,
schien aber dadurch nicht überzeugt zu sein.
Wir kamen dann auf die innere Politik. Der Kaiser meinte, es sei
jetzt Zeit, mit dem Liberalisieren einzuhalten. Er habe viele Konzessionen
gemacht. Aber jetzt sei es genug. Der Reichskanzler sei in dieser Be-
ziehung mit ihm einverstanden. Er knüpfte daran Bemerkungen über die
Städteordnung und über Eulenburgs Rücktritt. Frappiert hat mich, daß
er auf den glänzenden Empfang hinwies, der ihm überall zuteil geworden
sei, und daraus den Schluß zog, daß die Hingebung des Volks an seine
Person so groß sei, daß deshalb weitere Konzessionen an den Liberalismus
nicht erforderlich schienen. Ich hielt es nicht für erlaubt, ihm zu sagen:
„Ja, wie würden Eure Majestät empfangen worden sein, wenn Sie
reaktionäre Politik getrieben hätten?“ Eine Aeußerung meinerseits mußte
um so mehr unterbleiben, als mir die Gesetze und Gesetzentwürfe, um die
es sich handelte, nicht genügend oder gar nicht bekannt waren. Es scheint
mir, als wenn die Jesuiten den Kaiser auf eine reaktionäre Bahn treiben
wollten. Damit würden sie ihr Ziel sehr bald erreichen. Die schon be-
stehende Mißstimmung würde hier und insbesondere in Süddeutschland
einen ganz bedenklichen Grad erreichen, und es brauchte dann nur noch
einer bald herbeigeführten äußeren Verwicklung, um das mühsam zustande
gebrachte Werk in Frage zu stellen. Das liberale deutsche Bürgertum ist
nicht so exzessiv in seinen Anschauungen, daß sich eine monarchische Re-
gierung nicht mit ihm verständigen könnte. Wenn man es aber, wie Mac
Mahon in Frankreich tut, mit Demokraten und Sozialdemokraten in einen