Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 235 
Brief Lionel Rothschilds, des intimen Freundes von Beaconsfield, bekommen, 
der versichert, Beaconsfield sei mit den friedlichsten Absichten nach Berlin 
gereist. Wenn das der Fall ist, so hat Lord Beaconsfield sehr ungeschickt 
gehandelt, als er uns die Rede im Kongresse hielt. Er hat dann damit 
nur erreicht, daß Oesterreich und Rußland sich schleunigst verständigen. 
Bleichröders Ansichten über Bismarcks Persönlichkeit sind richtig. Was 
mir bei dem ganzen Gespräch unangenehm war, ist, daß Bleichröder doch 
Einfluß in handelspolitischen Fragen bei Bismarck zu haben scheint. Er 
tut, als wenn er mitregierte, trotz seiner demütigen Versicherungen. 
Bezüglich der Wahlen erzählte er, er habe Instruktionen von Bismarck 
geholt, gerade als wenn er, Bleichröder, die Wahlen machen könnte. So 
behauptet er, Bismarck wolle Lasker und Bamberger nicht mehr im Reichs- 
tage haben, und in Mainz sei ihm sogar ein Ultramontaner lieber als 
Bamberger, in Westfalen ebenfalls an Stelle Richters. Das sind Illu- 
sionen. Weder Lasker noch Bamberger noch Richter werden aus dem 
Reichstage gedrängt werden. Mir scheint, als ob die eigennützige jüdische 
Handelspolitik Bleichröders an dem Sturze Delbrücks und an manchen 
unreifen Finanzprojekten der neueren Zeit schuld wäre. Von Bennigsen 
sagte er, er bedaure, damals nicht in das Ministerium eingetreten zu sein.) 
Er habe sich aber vor der Abreise nach Varzin Lasker gegenüber gebunden 
und habe dann nicht eintreten können, ohne jenen Verpflichtungen zuwider 
zu handeln. Lasker hält Bleichröder nicht für so schlimm, wie Bismarck 
ihn ansieht. Er habe nur die Eitelkeit, zu Rate gezogen werden zu wollen. 
Heute Abend bei der Großherzogin zum Tee. Die Kaiserin war da 
und später der Kronprinz. Man war anfangs in trüber Stimmung. 
Später lachten die Herrschaften sehr über Geschichten, die ich ihnen von 
Paris erzählte. 
Dann. um 11 Uhr zu Bismarck. Man wartete bis ½12 Uhr. 
Endlich kam er, nachdem er bei der Türkei und bei Schuwalow gewesen 
war. Er schien befriedigt und war sehr guter Laune. Von den Eng- 
ländern sagte er, daß Beaconsfield und Salisbury verschiedener Meinung 
seien. Er fürchte immer, daß Dizzy irgendeinen unerwarteten Coup 
loslassen werde. 
Blowitz will er bei mir sehen, und er wird mir sagen lassen, wann er 
kommt, damit ich Blowitz bestelle. Herr Sceps vom „Tageblatt“ behauptet, 
daß die Oesterreicher ohne Programm hergekommen seien, dasselbe solle 
sich hier „kristallisieren". „Wissen S', das ist so ein naturwissenschaftlicher 
Ausdruck, bei dem man sich allerlei denkt.“ 
  
1) Die Verhandlungen über Bennigsens Eintritt in das Ministerium hatten 
im Februar stattgefunden.
	        
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