Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

240 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
25. Juni. 
Vor der gestrigen Kongreßsitzung sagte mir Schuwalow, er habe den 
Tag vorher die Absendung eines Telegramms von Gortschakow verhindert, 
in welchem dieser dem Kaiser von Rußland anzeigen wollte, er sei krank 
und könne deshalb die Verantwortung für die letzten Beschlüsse nicht 
übernehmen. Schuwalow erklärte, wenn dies Telegramm abginge, würde 
er den Kaiser telegraphisch bitten, einen andern ersten Bevollmächtigten 
hierher zu senden. Darauf unterblieb das Telegramm. Lord Beaconsfield 
kam sehr freundlich auf mich zu und teilte mir mit, die Königin habe ihn 
beauftragt, mir zu sagen, sie freue sich, daß ich an dem Kongreß teilnehme, 
ich sei ein alter Freund ihres „beloved Prince“ und habe ihr volles Ver- 
trauen. Augenscheinlich hat dies großen Eindruck auf Beaconsfield ge- 
macht, denn er wurde sehr liebenswürdig, faßte mich unter den Arm und 
promenierte mit mir im Saal. 
In der Sitzung wurden dann §8 7 und 8 beraten, wobei nur der 
Ausfall zu erwähnen ist, den der Reichskanzler gegen die Völkerschaften 
der Balkanhalbinsel machte. Er meinte, wir sollten uns nicht in die 
Details des Vertrages vertiefen und nur die Punkte hervorheben, die 
geeignet wären, die Einigkeit der Mächte zu stören. Im übrigen sei ihm 
das Schicksal jener Bevölkerungen sehr gleichgültig. 
Um 4 Uhr fuhr ich rasch nach Hause, mich umzuziehen, und dann 
auf die Bahn nach Potsdam. Waddington, St. Vallier, die Italiener 
und eine Masse Türken fuhren mit zu einem Diner im Neuen Palais. 
Die kühlen Räume des Palais und der Aufenthalt vor dem Salon auf 
der Terrasse waren erfrischend. Die Kronprinzeß hatte Migräne, weshalb 
gleich aufgebrochen wurde. 
Abends bei Lord Odo Russell. Großer Rout. Friedenthal fragte 
ich nach den Plänen der Regierung. Erst zögerte er mit der Antwort, 
dann platzte er heraus, daß er die innere Politik des Reichskanzlers als 
eine heillose betrachte und nicht geblieben sein würde, wenn ein Minister 
in diesem Augenblick abgehen könnte. Man habe Bismarck geraten, die 
günstige Gelegenheit nach dem Attentat zu benutzen, um sich mit den 
Nationalliberalen zu versöhnen. Er wolle aber nichts hören infolge 
schlechter Ratschläge. Ich erwiderte, Bismarck sei uns nötig und man 
müsse alles tun, um ihn zu halten. Das gab Friedenthal zu und äußerte 
schließlich, der Reichskanzler sei ein so eigentümlicher Charakter, daß er 
vielleicht plötzlich umspringen und sich mit den Nationalliberalen versöhnen 
würde. 
Abends. 
Heute früh Spaziergang. Visite von Paul Lindau. Dann ziemlich 
langweilige Sitzung. Um 7 Uhr Essen mit Radowitz und Busch bei
	        
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